Erdzauber 01 - Die Schule der Rätsel
Sie hat keinen Platz in den Sagen und Rätseln der Königreiche... So, wie die Sterne keinen Platz haben. Ich kann sie nicht beschuldigen; ich habe keinen Beweis, und sie würde mich nur stumm aus ihren scheuen Augen ansehen und nicht wissen, wovon ich spreche. Deshalb glaube ich, daß ich diesen Ort hier schnell verlassen sollte.«
»Morgon, zwei Tage habt Ihr krank gelegen, seit man Euch dort unten im Saal fand. Selbst wenn wir annehmen, daß Ihr die Kraft besitzt, dieses Zimmer zu verlassen, was würdet Ihr tun?«
Morgon verzog den Mund.
»Ich werde nach Hause zurückkehren. Der Weise hütet sich wohl, in einem Hornissennest zu stochern, um zu sehen, was darinnen summt. Hed ist seit sechs Wochen ohne Landherrscher; ich möchte Eliard und Tristan wiedersehen. Ich bin dem Erhabenen für den Namen verantwortlich, mit dem ich in Hed geboren wurde, nicht aber für irgendeine fremde Persönlichkeit, die ich außerhalb Heds zu besitzen scheine.« Er schwieg einen Moment; das Geräusch des Regens änderte sich, wurde zu einem lauten Trommeln am Glas. Seine Augen schweiften zum Fenster hinüber. »Ich bin neugierig«, bekannte er. »Dies ist jedoch ein Rätselspiel, aus dem ich mich heraushalten werde. Der Erhabene mag es spielen.«
»Die Herausforderung ist aber nicht an den Erhabenen gegangen.«
»Es ist sein Reich; ich bin nicht verantwortlich für die Machtkämpfe in Ymris.«
»Ihr seid es vielleicht doch, wenn die Sterne in Eurem Gesicht sie ausgelöst haben.«
Morgon sah ihn an. Unruhig wälzte er sich hin und her. Die Schatten von Schmerz und Erschöpfung in seinem Gesicht vertieften sich.
Thod legte ihm eine Hand auf den Arm.
»Ruht Euch aus«, sagte er freundlich. »Wenn Ihr Euch, sobald Ihr wohl genug seid, um abzureisen, dafür entscheidet, nach Hed zurückzukehren, will ich mit Euch reisen, es sei denn, der Erhabene gibt mir anderen Auftrag. Wenn Ihr zwischen Hed und Ymris verschwindet, würde ich nur wieder nach Euch suchen müssen.«
»Dank Euch. Ich verstehe nicht, warum der Erhabene Euch in Unwissenheit darüber ließ, wo ich mich aufhielt. Habt Ihr ihn gefragt?«
»Ich bin ein Harfner, kein Zauberer, der seine Gedanken von hier zum Erlenstern-Berg schicken kann. Der Erhabene taucht nach Belieben in meinen Geist ein; ich kann nicht in den seinen eintauchen.«
»Aber er muß gewußt haben, daß Ihr nach mir suchtet. Warum half er Euch nicht?«
»Ich kann nur raten. Im Geist des Erhabenen vereinigen sich das Sinnen und Trachten all jener, die in seinem Reiche leben, zu einem großen Gewebe, an dem er nach seinen eigenen Zielen webt. Er führt sein Schiffchen hin und her, von Handlung zu Handlung, um ein bestimmtes Muster zu wirken. Und des- halb sind seine Antworten auf Ereignisse häufig unerwartet. Vor fünf Jahren heiratete Heureu Ymris, und Astrin Ymris verließ Caerweddin, in seinem Herzen ein Wissen, das schwer wog wie ein Stein. Vielleicht wart Ihr dem Erhabenen das Werkzeug, Astrin und sein Wissen nach Caerweddin zurückzubringen, um Heureu gegenüberzutreten.«
»Wenn das wahr ist, dann weiß er, was sie ist.« Er hielt inne. »Nein. Er hätte handeln können, als Heureu heiratete, das wäre einfacher gewesen. Ihre Kinder werden die Landerben von Ymris sein; wäre sie so mächtig, so gesetzlos, dann hätte der Erhabene gewiß damals schon gehandelt. Astrin muß sich täuschen. Ich muß in jener Nacht geträumt haben. Und doch.« Er schüttelte den Kopf und legte eine Hand über die Augen. »Ich weiß es nicht. Ich bin froh, daß all dies nicht meine Sache ist.«
Die Leibärztin des Königs hielt ihn zurück, verbot ihm, das Bett zu verlassen und reichte ihm am Abend einen heißen, berauschenden Trank aus Wein und Kräutern, der ihn in traumlosen Schlaf schickte. Nur einmal erwachte er, mitten in der Nacht, und sah Rork Umber lesend am Feuer sitzen. Das Haar des Ritters verwischte sich im Flammenschein, als Morgon die Augen zufielen und er wieder einschlief.
Am folgenden Nachmittag kamen Heureu und Eriel zu ihm. Astrin, der Rork abgelöst hatte, stand an den weiten Fenstern, die auf die Stadt hinunterblickten; Morgon sah, wie die Augen des Königs und seines Landerben flüchtig einander trafen, ausdruckslos. Dann zog Heureu den Sessel ans Bett und setzte sich.
»Morgon«, sagte er müde, »Anoth befahl mir, Euch nicht zu stören, aber ich muß es tun. Meroc Tor hat den Ritter von Me- remont unter Belagerung genommen; in zwei Tagen ziehe ich mit einem Heer von Ruhn, Caerweddin und
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