Erdzauber 02 - Die Erbin von Wasser
hinunterstürzte, und stieß zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor: »Ich glaube, ich sterbe. Ich habe gehört, was die Landerbin der Morgol sagte. Ihr habt das Schiff gestohlen; Ihr habt keinem in Eurem eigenen Land etwas gesagt. Ich habe die Seeleute gestern nacht reden gehört - daß die Wachen sie gezwungen haben, nach Norden zu segeln und daß - und daß es besser wäre, sie täten so, als hätten sie das sowieso gewollt. Wenn sie protestierten, sagten sie, würden sie sich nur zum Gespött machen. Dann redeten sie über den Erhabenen, und ihre Stimmen wurden leiser; ich konnte nichts mehr hören.«
»Tristan -«
»Wenn Ihr mich an Land setzt, dann gehe ich zu Fuß. Ihr habt selbst gesagt, daß Ihr zu Fuß gehen würdet. Nacht für Nacht mußte ich zuhören, wie Eliard im Schlaf weinte, wenn er von Morgon träumte; ich mußte dann aufstehen und ihn wecken. Und eines Nachts sagte er - eines Nachts hätte er Morgons Gesicht im Traum gesehen und er konnte - er konnte ihn nicht wiedererkennen. Da wollte er auf der Stelle aufbrechen zum Erlenstern-Berg, aber es war mitten im Winter, und es war der schlimmste Winter, den Hed seit siebzig Jahren erlebt hatte, sagte der alte Tor Eichenland, und sie überredeten ihn zu warten.«
»Er wäre niemals über den Paß gekommen.«
»Das hat Grim Eichenland ihm auch gesagt. Beinahe wäre er trotzdem gegangen. Aber Meister Cannon versprach ihm, daß er mit ihm ziehen würde im Frühling. Und dann kam der Frühling...«: Sie verstummte. Einen Moment lang saß sie völlig reglos und starrte auf ihre Hände hinunter. »Dann kam der
Frühling, und Morgon starb. Und ganz gleich, was Eliard tat, ich sah immer nur eine Frage in seinen Augen: Warum? Und deshalb gehe ich jetzt zum Erlenstern-Berg, um das herauszufinden.«
Rendel seufzte. Die Sonne hatte endlich den Nebel durchdrungen und warf durch das Kreuz und Quer von Stütztauen ein Lichtgitter auf das Deck. Unter ihrer warmen Berührung wirkte Tristan etwas weniger wächsern; sie richtete sich sogar ein wenig auf, ohne zu stöhnen.
»Ihr braucht gar nichts zu sagen«, fügte sie hinzu, »ich lasse mich nicht davon abbringen.«
»Es geht nicht um mich, es geht um Bri Corvett.«
»Er hat Euch und Lyra doch auch mitgenommen -«
»Mich kennt er, und es ist recht schwierig, sich den Wachen der Morgol zu widersetzen. Es kann aber sein, daß er sich weigern wird, die Landerbin von Hed mitzunehmen, schon gar, wenn kein Mensch weiß, wo, in aller Welt, du bist. Es kann sein, daß er das Schiff wendet und direkten Kurs auf Caithnard nimmt.«
»Ich habe Eliard eine Nachricht hinterlassen. Außerdem könnten die Wachen ihn daran hindern zu wenden.«
»Nein. Nicht auf offener See, wenn kein anderer da ist, der das Schiff übernehmen könnte.«
Tristan starrte voller Qual auf das Ruderboot, das neben ihr festgemacht war.
»Ich könnte mich ja wieder verstecken. Niemand hat mich gesehen.«
»Nein. Warte.« Sie schwieg und überlegte. »Meine Kabine. Dort kannst du bleiben. Ich bringe dir zu essen.« Tristan wurde bleich.
»Ich glaube nicht, daß ich in nächster Zeit etwas essen kann.«
»Kannst du gehen?«
Sie nickte mit Anstrengung. Rendel ließ rasch ihren Blick über das Deck schweifen, half ihr dann auf die Beine und führte sie die Stufen hinunter zu ihrem eigenen kleinen Gemach. Sie flößte Tristan ein wenig Wein ein, und als Tristan bei einem plötzlichen Schlingern des Schiffes zum Bett torkelte, breitete sie ihren Umhang über ihr aus. Schlaff lag Tristan da, kaum noch zu sehen, wie ohne Atem, doch Rendel hörte ihre Stimme, die hohltönend klang, als käme sie aus einem Grab, als sie die Tür schloß. »Ich danke Euch.«
Sie fand Lyra, in einen dunklen, weitwallenden Umhang gehüllt am Heck, in die Betrachtung des Sonnenaufgangs vertieft. Mit einem der seltenen impulsiven Lächeln begrüßte sie Rendel, als diese zu ihr trat.
Leise, so daß der Steuermann sie nicht hörte, sagte Rendel: »Wir haben Schwierigkeiten.«
»Bri?«
»Nein. Tristan von Hed.«
Lyra starrte sie ungläubig an. Schweigend, die Stirne gekraust, hörte sie zu, während Rendel erklärte. Sie warf einen raschen Blick zu Rendels Kabine, als könnte sie durch die Wände die reglose Gestalt auf dem Bett sehen. Dann sagte sie mit Entschiedenheit: »Wir können sie nicht mitnehmen.«
»Ich weiß.«
»Die Leute von Hed haben an Morgons Abwesenheit schon genug gelitten; sie ist die Landerbin von Hed, und sie kann doch - wie alt ist sie
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