Erdzauber 02 - Die Erbin von Wasser
wie ein Herzschlag. Dann holte sie schließlich tief Atem.
»Ja«, sagte sie. »Diese Frau hat mich beinahe vergessen lassen. Ich bin mitten in der Nacht aus Isig geflohen, um irgendwo in der Einöde Morgon zu suchen. Es ist wohl unwahrscheinlich, daß ich ihn so finden werde, nicht wahr?«
»Ein wenig, ja.«
»Und keiner in Danans Haus weiß, ob ich lebe oder tot bin. Das scheint mir gedankenlos. Ich vergaß, daß ich, wenn ich auch Ylons Gaben habe, noch immer meinen eigenen Namen trage. Das allein ist eine starke Kraft. Die Kraft, zu sehen...«:
»Ja.« Endlich hob er den Kopf, hob den Becher, als wollte er nochmals trinken, stellte ihn aber statt dessen mit merkwürdiger Vorsicht auf den Boden. Er lehnte sich zurück, und sein Gesicht leuchtete klar im Lichtschein; der Spott war verschwunden.
Sie zog die Knie ganz hoch an ihre Brust und schmiegte sich- Jröstelnd dagegen.
»Euch ist kalt«, sagte er. »Nehmt meinen Mantel.«
»Nein.«
Er verzog leicht den Mund, doch er erwiderte nur: »Was tut Lyra im Berg Isig?«
»Wir sind gekommen, um den Erhabenen zu befragen -Lyra, Tristan von Hed und ich -, doch Danan berichtete uns, daß Morgon lebt, und er riet uns davon ab, den Paß zu durchqueren. Ich brauchte Stunden, um darauf zu kommen, warum. Und so lange - einen Tag und zwei Nächte - dauerte es, ehe ich auf eine andere Frage kam. Aber es ist keiner da, den ich fragen kann, außer Morgon und Euch.«
»Ihr würdet mir eine Frage anvertrauen?«
Sie nickte ein wenig müde.
»Ich verstehe Euch nicht mehr; Euer Gesicht verwandelt sich jedesmal, wenn ich es ansehe, bald ist es das Gesicht eines Fremden, bald das einer Erinnerung. Aber ganz gleich, wer Ihr seid, Ihr wißt noch immer ebensoviel, wenn nicht mehr, wie jeder andere über das, was im Reich vor sich geht. Wenn Ghisteslohm den Platz des Erhabenen im Erlenstern-Berg eingenommen hat, wo ist dann der Erhabene? Es ist immer noch einer da, der Ordnung hält im Reich.«
»Wahr.« Er schwieg, um den Mund einen seltsam gespannten Zug. »Diese Frage stellte ich Ghistleslohm vor fünf Jahrhunderten. Er konnte sie mir nicht beantworten. Da verlor ich das Interesse. Jetzt, da mein eigener Tod unvermeidlich ist, ist mein Interesse noch immer gering, nicht größer als das des Erhabenen, wo immer er auch sein mag, an jenen Problemen im Reich, die über Fragen des Landrechts hinausgehen.«
»Vielleicht hat es ihn nie gegeben. Vielleicht ist er eine Legende, die sich aus dem Geheimnis um die verfallenen Städte gebildet hat und durch die Jahrhunderte weitergegeben wurde, bis Ghistleslohm in sie hineinschlüpfte.«
»Eine Legende wie Ylon? Legenden haben eine erbarmungslose Art, sich in Wahrheit zu verwandeln.«
»Warum hat er Euch dann niemals daran gehindert, in seinem Namen mit Eurer Harfe durch die Lande zu reisen? Er muß es doch gewußt haben.«
»Das weiß ich nicht. Zweifellos hat er seine Gründe. Ob er oder Morgon mich verdammen, spielt kaum eine Rolle; das Ergebnis wird das gleiche sein.«
»Es gibt keinen Ort, wohin Ihr gehen könnt?« fragte sie und überraschte sich selbst und ihn mit ihrer Frage. Er schüttelte den Kopf.
»Morgon wird mir das Reich verschließen. Sogar Herun. Dort werde ich sowieso nicht hingehen. Aus Osterland wurde ich vor drei Nächten, als ich die Öse überquerte, schon fortgejagt. Der Wolfskönig sprach mit seinen Wölfen. Ein Rudel fand mich, als ich auf seinem Land mein Lager aufschlug, in einem fernen, abgelegenen Winkel seines Landes. Sie rührten mich nicht an, aber sie ließen mich wissen, daß ich nicht willkommen war.
Wenn die Nachricht bis Ymris gereist ist, wird es dort dasselbe sein. Und in An. Der Sternenträger wird mich dorthin treiben, wo er mich haben will. Ich sah den Krater, den er aus dem Hause des Erhabenen machte, als er sich schließlich befreite; es schien, als wäre der Erlenstern-Berg selbst zu klein, ihn festzuhalten. Ehe er ging, nahm er sich die Zeit, die Saiten aus meiner Harfe zu reißen. Sein Urteil über mich fechte ich nicht an, aber - das wenigstens war eines in meinem Leben, was ich gut gemacht habe.«
»Nein«, flüsterte sie. »Ihr habt vieles gut gemacht. Gefährlich gut. Im ganzen Reich gab es keinen Mann, keine Frau und kein Kind, die Euch nicht vertrauten; auch das habt Ihr gut gemacht. So gut, daß ich noch immer neben Euch sitze und mit Euch spreche, obwohl Ihr einen Menschen, den ich bis zur Unerträglichkeit liebe, verletzt habt. Ich weiß nicht, warum.«
»Nein? Es ist
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