Erdzauber 02 - Die Erbin von Wasser
einfach: Allein in der Einöde unter einem Himmel, der so schwarz ist wie die Augenhöhle eines toten Königs, bleibt uns nichts als unsere Ehrlichkeit. Und unsere Namen. Großer Reichtum wohnt in dem Euren«, schloß er beinahe leichthin, »aber nicht einmal Hoffnung in dem meinen.«
Wenig später schlief sie an seinem Feuer ein, während er still dasaß, Wein trank und immer wieder das Feuer schürte. Als sie am Morgen erwachte, war er fort. Sie hörte Rascheln und Knacken in den Büschen, Stimmengewirr; unter Schmerzen drehte sie sich um, befreite einen Arm, um die Decke übefTich wegzuschieben. Dann hielt sie inne. Abrupt setzte sie sich auf und starrte auf ihre Hand hinunter, in der am Abend zuvor das Feuer wie ein Teil ihrer selbst gebrannt hatte. Weiß gezeichnet hoben sich auf ihrer Handfläche die zwölf Seiten und die zarten Linien im Inneren des Steins ab, den Astrin ihr auf der Ebene von Königsmund gegeben hatte.
Kap.7
Lyra, Tristan und die Wachen ritten unter den Bäumen hervor auf die kleine Lichtung, wo Rendel saß. Bei ihrem Anblick zügelte Lyra ihr Pferd scharf, sprang ohne ein Wort aus dem Sattel. Sie sah selbst recht mitgenommen, abgespannt und müde aus. Sie lief zu Rendel hin und kniete neben ihr nieder. Sie machte den Mund auf, um etwas zu sagen, aber ihre Stimme gehorchte ihr nicht. Stumm öffnete sie statt dessen ihre Hand und ließ drei verschmutzte, verworrene Silberfäden zwischen ihnen zu Boden fallen.
Rendel senkte den Blick zu ihnen hinunter, berührte sie.
»Ihr wart das hinter mir«, flüsterte sie.
Sie richtete sich auf, schob sich das Haar aus den Augen. Die Wachen stiegen von den Pferden. Tristan, noch immer im Sattel, blickte aus großen, verängstigten Augen auf Rendel. Ruckartig ließ sie sich plötzlich zu Boden gleiten und lief zu Rendel hin.
»Geht es Euch gut?« Ihre Stimme war schrill vor Sorge. »Geht es Euch gut?« Mit sanfter Hand zupfte sie Fichtennadeln und Borkenstücke aus Rendels Haar. »Hat Euch jemand etwas angetan?«
»Vor wem seid ihr geflohen?« fragte Lyra. »Vor einem Gestaltwandler?«
»Ja.«
»Was war denn? Ich war gleich auf der anderen Seite des Ganges; ich konnte nicht schlafen. Ich hörte Euch nicht einmal fortgehen. Ich hörte nicht einmal -«
Unvermittelt stand sie auf, wie plötzlich von einer Erinnerung getroffen. Rendel schob mit müden Händen den Umhang weg, mit dem sie sich zugedeckt hatte; er war heiß und schwer im hellen Morgen. Sie zog die Beine hoch und ließ ihren Kopf auf ihre Knie sinken. Jeder Knochen in ihrem Körper schmerzte bei den einfachsten Bewegungen. Die anderen schwiegen. Sie spürte, daß sie warteten, deshalb begann sie nach einem Augenblick des Schweigens stockend zu sprechen.
»Es war - einer von den Gestaltwandlern kam in mein Zimmer und sprach mit mir. Nachdem er - sie, es war eine Frau - fort war, wollte ich - ich wollte unbedingt Morgon finden, um mit ihm zu reden. Meine Gedanken waren nicht sehr klar. Ich schlich mich aus Danans Haus und wanderte die ganze Nacht, bis der Mond unterging. Dann schlief ich eine Weile und wanderte weiter, bis - bis ich hierherkam. Verzeiht mir, daß ich Euch die Fallen stellte.«
»Was hat sie gesagt? Was kann sie nur gesagt haben, daß Ihr so Hajs über Kopf davonlaufen mußtet?«
Rendel blickte zu ihr auf.
»Lyra, ich kann jetzt nicht darüber sprechen«, flüsterte sie. »Ich möchte es Euch sagen, aber nicht jetzt.«
»Gut.« Sie schluckte. »Es ist gut. Könnt Ihr aufstehen?«
»Ja.«
Lyra half ihr auf die Beine; Tristan nahm den Umhang, drückte ihn in ihren Armen zusammen, während sie voller Sorge über ihn hinwegblickte.
Rendel sah sich um. Nirgends gewahrte sie eine Spur von Thod; wie ein Traum schien er durch die Nacht gezogen zu sein. Doch eine der Wachen, Goh, die geübt den Blick schweifen ließ, sagte: »Hier war ein Reiter.« Sie blickte südwärts, als verfolgte sie seinen Weg. »Er ist in dieser Richtung geritten. Das Pferd könnte in An gezüchtet worden sein, nach der Größe der Hufe zu urteilen. Ein Ackergaul ist es jedenfalls nicht, und auch kein Kampfpferd aus Ymris.«
»War es Euer Vater?« fragte Lyra ein wenig ungläubig.
Rendel schüttelte den Kopf. Plötzlich schien sie zum erstenmal den schweren, kostbaren, schwarzblauen Umhang in Tristans Armen wahrzunehmen. Sie biß die Zähne aufeinander, nahm Tristan den Umhang ab, schleuderte ihn in das Aschehäufchen, das vom Feuer übriggeblieben war. Und während sie es tat, sah sie vor sich das
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