Erdzauber 02 - Die Erbin von Wasser
erscheinen. Sie legte widerspenstige kleine Dornenzweige in ihren Pfad, sah im Geist die abweisenden, stacheligen Hecken, als die sie sich jedem anderen darstellen würden. An einer Stelle grub sie ein faustgroßes Loch, legte es mit Blättern aus und füllte es dann mit Wasser, das sie in den Händen vom Fluß herantrug. Es blickte zum blauen Himmel auf wie ein Auge, wie eine kleine, unauffällige Pfütze, die sich wie ein Traum zu einem weiten, unüberwindlichen See dehnen konnte.
Das nagende Gefühl des Verfolgtwerdens wurde weniger bedrängend. Sie vermutete, daß der Verfolger auf einige ihrer Fallen gestoßen war. Darauf ließ sie sich selbst etwas mehr Zeit.
Es war später Nachmittag, die Sonne hing dicht über den Wipfeln der Fichten. Ein leichter Wind spielte in ihnen, der kühle Abendwind, der allmählich stärker wurde. Er brachte Einsamkeit mit, die Einsamkeit der Einöden. Plötzlich sah sie eine Reihe von Tagen und Nächten, die vor ihr lagen, sah den endlosen, einsamen Pfad durch unbevölkertes Land, das zu durchqueren für einen, der ohne Waffen war und zu Fuß, beinahe unmöglich war. Doch hinter ihr lag der Isig-Paß mit seinem dunklen Geheimnis. In An war keiner, nicht einmal ihr Vater, der ihr ein Quentchen Verständnis entgegenbringen konnte. Sie konnte nur hoffen, daß ihr blinder Drang sie von selbst zu einer Quelle des Trostes führen würde. Sie fröstehe
leicht, nicht unter der Kälte des Windes, sondern unter dem Hauch öder Leere, mit dem er sie streifte, dann ging sie weiter. Die Sonne versank, sandte ihre letzten Strahlen durch die Bäume; das Zwielicht lag in unirdischer Stille über der Welt. Und immer noch ging sie weiter, ohne nachzudenken, ohne haltzumachen, um etwas zu essen, ohne sich bewußt zu sein, daß sie auf dem schmalen Grat der Erschöpfung dahinwanderte. Der Mond stieg auf; immer wieder stolperte sie über Wurzeln und Äste, die sie im Dunkeln nicht sehen konnte, so daß ihr Vorwärtskommen langsamer wurde. Einmal stürzte sie, scheinbar ohne jeden Grund, und war überrascht, als sie merkte, daß es ihr schwerfiel aufzustehen. Wenige Schritte weiter fiel sie wieder, war wieder verwundert. Sie spürte, daß Blut von ihrem Knie herabsickerte, und griff mit der Hand in ein Büschel Brennesseln, als sie aufstand. Sie blieb stehen, die beißende Hand unter einen Arm geklemmt, und fragte sich, warum sie am ganzen Körper zitterte, obwohl die Nacht doch gar nicht sehr kalt war. Da sah sie, wie einen Traum von Hoffnung, das warme, schlanke Züngeln von Flammen in den Bäumen. Sie ging auf das Feuer zu, nur einen Namen im Sinn. Als sie es erreichte, erblickte sie im Schein seines Lichts den Harfner des Erhabenen.
Während sie am Rand des Lichtkreises stand, sah sie einen Moment lang nur, daß es nicht Morgon war. Der Harfner saß an einen Felsbrocken gelehnt neben dem Feuer, den Kopf gesenkt; nur sein silberweißes Haar konnte sie erkennen. Dann hob er den Kopf und sah sie an.
Sie hörte, wie ihm der Atem stockte.
»Rendel?«
Sie trat einen Schritt zurück, und er machte eine plötzliche Bewegung, als wollte er aufspringen und sie aufhalten, ehe sie wieder in der Dunkelheit verschwand. Doch dann hielt er inne, lehnte sich mit Bedacht wieder an den Felsbrocken. Auf seinem Gesicht lag ein Ausdruck, den sie nie zuvor gesehen hatte, der sie am Rande des Lichts festhielt. Er wies auf das Feuer, auf den Hasen, der darüber am Spieß briet.
»Ihr seht müde aus; setzt Euch eine Weile.«
Er drehte den Spieß; der würzige Duft heißen Fleisches wehte zu ihr hin. Sein Haar hing in wirren Strähnen; sein Gesicht sah verbraucht aus, von tiefen Linien durchzogen, seltsam offen. Die Stimme, melodisch und mit Ironie unterlegt, hatte sich nicht verändert.
Sie flüsterte: »Morgon sagte, daß Ihr - daß Ihr auf Eurer Harfe spieltet, während er halbtot in Ghistleslohms Banden schmachtete.«
Sie sah, wie die Muskeln seines Gesichts sich spannten. Er streckte den Arm aus und schob einen abgebrochenen Ast ins Feuer.
»Es ist wahr. Ich werde meinen Lohn für dieses Harfenspiel bekommen. Doch wollt Ihr nicht etwas essen? Ich bin dem Untergang geweiht; Ihr seid hungrig. Das eine hat sehr wenig mit dem anderen zu tun, es gibt also keinen Grund für Euch, nicht mit mir zu essen.«
Sie machte noch einen Schritt, diesmal zu ihm hin. Er ließ sie nicht aus den Augen, doch seine Miene blieb unverändert, und sie trat noch einen Schritt näher. Er holte einen Becher aus seinem Bündel, füllte
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