Erdzauber 02 - Die Erbin von Wasser
stand
auf, und zwei Dinge zugleich wurden ihr klar. Ganz An erhob sich endlich. Und ohne Umschweife würde den Sternenträger sein Pfad nach Hel führen.
Kap.9
Bei Morgengrauen ritt sie aus Caithnard fort, stand anderthalb Tage später in den riesigen Eichenwäl-dern an der Grenze von Hel und bemühte sich angestrengt wie nie zuvor darum, alle Kraft und alle Empfindsamkeit ihres Geistes zu entfesseln. Schon während sie durch den Wald geritten war, hatte sie den kaum wahr-nehmbaren Schritt von jemandem gespürt, der vor ihr war, hatte sein Bestreben gewittert, rasch und unbemerkt das Land zu durcheilen. Und des Nachts, während sie schlaflos und offenen Geistes dagelegen hatte, hatte sie einen beängstigenden Augenblick lang etwas wie die Gestalt eines riesi-gen Untiers, das sich zum Mondlicht erhob, eines erbarmungslosen, mächtigen, blindwütigen Geistes gesehen, des-sen ganzes, einziges Trachten auf Vernichtung gerichtet war. Während sie dastand und über die Ländereien Hallard Schwarzes hinwegsah, fragte sie sich, in welcher Gestalt wohl Morgon sie durchwandelte. Die Weidewiesen, die sich sachte zum Fluß hinunterneigten, der am Hause des Ritters vorbeiplätscherte, sahen friedlich aus, doch nicht ein Tier war auf ihnen zu sehen. In der Ferne konnte sie Hundegebell hören, ein wildes, heiseres Klagen, das nicht aufzuhören schien. Auf den Feldern hinter dem Haus arbeiteten keine Leute, und sie war nicht überrascht. Dieser Winkel von Hel war das letzte Schlachtfeld in den halbvergessenen Kriegen zwischen Hel und An gewesen; eisern hatte er sich in einer endlosen Folge grimmiger, grausamer Schlachten behauptet, bis Oen von An sechs Jahrhunderte zuvor, als er wie ein Wirbelsturm durch Aum stob, beinahe verächtlich die letzte Feste des Wider-stands zerschlagen und den letzten der Könige von Hel ent-hauptet hatte, der sich dorthin geflüchtet hatte. Geschichte und Sage, die das Land durchwoben, hatten ihm keine Ruhe gegeben; noch immer konnte die Pflugschar, die sich in die Erde hineinfraß, ein altes Schwert zum Vorschein bringen, das vom Alter zerfressen war, oder den Schaft eines gebro-chenen Speers, der mit Ringen aus Gold geschmückt war. In all den Jahrhunderten hatte König Farr von
Hel, seines Hauptes beraubt, viel Muße gehabt, über seinem Groll zu brüten, und hatte, endlich von der Erde freigegeben, gewiß keine Zeit verloren, sich aus Hallards Feldern zu erheben. Das Stimmengewirr, das Rendel zwei Nächte früher gehört hatte, war zu einem beängstigenden Schweigen verklungen; die Toten waren ihrer Fesseln ledig, sie waren wach und sie schmiedeten Pläne.
Als sie über das höhergelegene Weideland ritt, sah sie eine Gruppe von Reitern, die aus dem Wald in eine Wiese einschwenkte, die auf ihrem Weg lag. Sie zugehe ihr Pferd mit hämmerndem Herzen, erkannte dann die breitschulterige, schwarzhaarige Gestalt Hallard Schwarzes, der seine Leute um Haupteslänge überragte. Sie waren alle bewaffnet, aber nur leicht; die ungeschützten Köpfe und die kurzen Schwerter hatten etwas Furchtloses. Sie spürte unerwartet ihre Erbitterung und Unsicherheit. Hallard drehte den Kopf, während sie noch dasaß und die Männer beobachtete; sie konnte seine Augen nicht sehen, aber sie fühlte seine Bestürzung, als ihr Name ihm in den Sinn schoß.
Zögernd hob sie die Zügel in ihren Händen, als er zu ihr hingaloppierte. Sie hatte kein Verlangen danach, sich mit ihm zu streiten, aber sie brauchte Auskünfte. Darum rührte sie sich nicht von der Stelle, und er hielt vor ihr an, ein grobknochiger, dunkler Mann, der im heißen, stillen Nachmittag schwitzte.
Er suchte einen Moment lang nach Worten, dann stieß er unbeherrscht hervor: »Diesem Kapitän sollte man das Fell über die Ohren ziehen. Erst segelt er mit Euch nach Isig und zurück, und dann läßt er Euch ohne Begleitung von Caithnard in diese Geschichte hier hineinreiten! Habt Ihr Nachricht von Eurem Vater?«
Sie schüttelte den Kopf.
»Nein. Ist es schlimm?«
»Schlimm.« Er schloß die Augen. »Seit zwei Tagen heulen diese Hunde ununterbrochen. Die Hälfte meines Viehs ist verloren; meine Weizenfelder sehen aus, als wären Mühlräder über sie hinweggewalzt, und die alten Grathügel auf den Südfeldern
sind plattgedrückt, und das gewiß nicht von Menschenhand.«
Er öffnete die Augen wieder. Sie waren blutunterlaufen von mangelndem Schlaf. »Ich weiß nicht, wie es in den anderen Teilen von An aussieht. Ich schickte gestern einen Boten nach
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