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Erebos

Erebos

Titel: Erebos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Poznanski
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Rettungssirenen.
    Da war die Kreuzung. Da war das Fahrrad. Und da war, oh lieber Gott, da war …
    »Jamie!«
    Er boxte sich durch die Menge, er musste durch, musste Jamie erreichen, musste sein Bein richtigrum drehen …
    »Jamie!«
    So viel Blut. Nicks Körper gab plötzlich nach, er sank neben seinem Freund in die Knie. Jamie.
    »Bleib weg, Junge. Der Krankenwagen ist gleich da.«
    »Aber …« Nicks Atemzüge kamen in ruckartigen Schluchzern. »Aber …«
    »Du kannst jetzt nichts tun. Nicht anfassen! Bring doch mal jemand den Jungen weg!«
    Hände auf seinen Schultern. Abschütteln. Hände, die ihn hochzerren.
    Um sich schlagen. Prügeln. Schreien.
    Der Krankenwagen. Blaues Flackern, neongelbe Jacken.
    »Schwache Atmung.«
    Eine Trage.
    »Bitte … bitte, er darf nicht sterben!«
    »Ich glaube, der hier braucht auch Hilfe, der steht unter Schock.«
    »Bitte.«
    Heulen. Aus dem Rettungswagen, in Nick drin. Bitte.
    Hände auf seinen Schultern. Abschütteln.
    Streicheln über sein Haar. Hochsehen. Emily.
     
    Sie gaben ihm zu trinken und er schluckte. Emily saß bei ihm, ihre Hand zitterte leicht, als sie ihm die Flasche abnahm. Mehrmals setzte er an, um Emily etwas zu fragen, doch aus seiner Kehle kam nur trockenes Schluchzen.
    Er krümmte sich zusammen, hörte sich wimmern, spürte Emilys Hand um seine Schultern. Sie sagte nichts, drückte ihn nur sanft an sich.
    Das würde sie nicht tun, wenn sie die Wahrheit kennen würde.
    Als Nick seine Umwelt wieder wahrnahm, hatten die Schaulustigen sich bereits zerstreut. Emily saß noch neben ihm. Unter Aufbietung aller seiner Kraft lächelte er ihr zu.
    Er fühlte nichts als Schuld. Er hatte ihn wütend gemacht, deshalb hatte Jamie vor der Kreuzung nicht gebremst. Nick hasste sich.
    Er wollte nicht nach Hause. Der Gedanke, herumzusitzen und zu warten, war grauenvoll. Hierbleiben konnte er auch nicht. Mit dem Kopf gegen eine Wand laufen schien dagegen verlockend zu sein.
    »Ich hab deine Sachen hier, ich hoffe, sie sind vollständig.«
    Wo kam Adrian plötzlich her? Er hielt Nick seine dreckige Tasche entgegen. Nick sah sie verständnislos an. Er wollte seine Tasche nicht, er wollte auch nichts mehr trinken. Er wollte nur eins: die Zeit zurückdrehen und das Gespräch mit Jamie noch einmal führen. Ihn nicht aufs Fahrrad steigen lassen. Nicht so ein verdammtes Arschloch sein.
    »Danke«, sagte Emily an Nicks Stelle und nahm Adrian die Tasche ab.
    »Wisst ihr, wie es um Jamie steht?«, flüsterte er. »Hat jemand etwas gesagt?«
    Nick brachte kein Wort heraus. Er konnte fühlen, wie Emily an seiner Seite den Kopf schüttelte.
    »Die Polizei steht da vorne und befragt Zeugen«, sagte Adrian. »Falls ihr gesehen habt, wie es passiert ist, sind sie sicher froh, wenn ihr euch meldet.«
    »Ich hab es nicht gesehen«, flüsterte Nick. »Ich hab es nur gehört und dann …« Er sprach nicht weiter, weil ihm schon wieder die Tränen kamen.
    Adrian nickte. Sein Blick war schwer zu deuten, er war verständnisvoll und gleichzeitig … fachmännisch, wie der eines Psychologen.
    »Ich habe auch nichts gesehen«, sagte Emily leise. »Aber ich glaube, Brynne hat recht nah dabeigestanden. Sie konnten sie noch gar nicht befragen, sie hat eine Beruhigungsspritze bekommen und ist kaum ansprechbar.«
    Ich hab solche Angst. Solche Angst. Nick schlug die Hände vors Gesicht und bohrte sich die Fingernägel in die Kopfhaut. Der Schmerz tat gut, er war viel besser als dieser andere Schmerz, den Nick fast nicht ertrug. Der gute Schmerz brachte eine Idee mit sich.
    »Weiß jemand, wo sie Jamie hingebracht haben?«
    »Ich glaube, ins Whittington«, sagte Emily. »Irgendjemand hat das Whittington erwähnt. Kann aber auch sein, dass das Blödsinn war.«
    Ohne ein weiteres Wort sprang Nick auf, schwankte kurz, weil ihm schwarz vor Augen wurde, fühlte Emilys Arm, der ihn stützte.
    »Ich fahre zu Jamie.« Seine Stimme war kaum mehr als ein Krächzen. »Ich muss wissen, wie es ihm geht.«
     
    Emily begleitete ihn. Sie stiegen bei Archway aus der U-Bahn. Nick fror, der Weg bis zum Krankenhaus kam ihm ewig vor. Er war froh, dass Emily nichts sagte und nichts fragte; er brauchte seine ganze Kraft, um einen Fuß vor den anderen zu setzen. Mit jedem Schritt wuchs seine Angst. Sie würden am Krankenhaus ankommen und jemand würde ihnen sagen, dass man Jamie leider nicht hatte retten können. Dass er im Rettungswagen gestorben war. Nick hatte plötzlich das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen. Er blieb vor

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