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Erebos

Erebos

Titel: Erebos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Poznanski
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zusammengefaltetes Stück Papier. Ein Liebesbrief? Dann würde es Nick nichts angehen. Aber vielleicht war es eine Botschaft. Egal, er war viel zu neugierig, um jetzt noch einen Rückzieher zu machen. Er zog das Papier heraus und entfaltete es.
    Ein Grabstein:
     
    Darleen Pember
    starb an mangelnder Einsicht.
    Möge sie in Frieden ruhen.
     
    Es war, als würde ein Schalter in Nick umgelegt. Einen Brief wie diesen hatte auch Jamie bekommen. Vielleicht … Nick schob den Gedanken sofort weg, doch er kam zurück. Wie ein Luftballon, den man unter Wasser drücken will.
    Vielleicht war Jamie nicht aus Wut und Unachtsamkeit ungebremst auf die Kreuzung gefahren. Vielleicht hatte er gebremst oder es zumindest versucht. Er hatte Nick den Brief mit dem Grabstein gezeigt. Eine Drohung, die er nicht ernst genommen hatte. Jamie aber schon. Und jetzt …
    Jemandem die Fahrradbremsen zu kappen oder jemandem eine Überdosis Digitalis in den Tee zu mischen – der Unterschied war nicht so groß.
    Colin. Colin verteilte Todesbriefchen. Setzte er sie auch in die Tat um?
    Ohne lange nachzudenken, stürmte Nick die Treppe hinauf, jagte über den Korridor, der zur Cafeteria führte – da vorne schlenderte Colin, als wäre nichts gewesen.
    »Du Arschloch!« Nick stürzte sich von hinten auf ihn und brachte ihn ins Wanken. Sie gingen gemeinsam zu Boden.
    »Nick? Nick, spinnst du?«
    Statt einer Antwort drückte Nick Colin den Brief ins Gesicht, rieb ihn über seine Wangen, seine Nase, seine Augen.
    »Kennst du das? Ja? Schon mal gesehen?«
    »Lass mich, du Idiot! Was ist das?«
    »Du Schwein!«
    Sie machten zu viel Krach, die Leute kamen schon aus der Cafeteria. Nick ließ Colin los, beide rappelten sich hoch.
    »Darleen Pember, ja? Hat die auch bald einen Unfall?«
    Colin starrte den Brief an, nun hatte er offenbar begriffen. »Gib das sofort her!«
    »Ich denke nicht daran.«
    »Du kannst es nicht einfach wegnehmen … ich muss –«
    Er stürzte auf Nick zu, doch der hatte damit gerechnet und wich aus. Genüsslich riss er den Brief in der Mitte durch, zerriss ihn in kleine Stückchen und drückte sie Colin in die Hand. »Da. Das kannst du Darleen in die Manteltasche stecken. Ich werde ihr sagen, von wem es kommt.«
    Colins Gesicht spiegelte gleichzeitig Hass und Ratlosigkeit. »Das kannst du nicht machen.«
    »Jetzt kriegst du Angst, nicht? Dein Kumpel mit den gelben Augen wird gar nicht happy sein.«
    »Sei still!«
    »Da sind gleich ein paar Level weg.« Aus den Augenwinkeln sah Nick die Häkelschwestern herankommen, von dem Streit angezogen wie Geier vom Aas. Dan grinste über das ganze Gesicht, während Alex unsicher wirkte.
    »Du warst das mit Jamie. Gib es zu. Du hast ihn auf dem Gewissen, ich habe dein Briefchen an ihn gesehen. Hat es sich wenigstens gelohnt? Hast du ein paar geile Stiefelchen gekriegt?«
    Colins Nasenflügel zitterten. Er machte einen Schritt auf Nick zu. Seine Fäuste waren so fest geballt, dass Nick die Adern auf den Armen heraustreten sah.
    »Das wird dir noch leidtun«, sagte er, drehte sich um und ging.
     
    Erst als Nick am Nachmittag wieder zu Hause war, ging ihm auf, wie groß der Fehler gewesen war, den er gemacht hatte. Er hatte sich hinreißen lassen und sich offiziell zu Erebos’ Feind erklärt. Obwohl er nicht beweisen konnte, dass Jamies Unfall mit dem Spiel zu tun hatte.
    Nimm die Zange, die du unter der Parkbank neben dem Schultor findest, und trenne damit die Bremsseile des dunkelblauen Fahrrads durch. Das mit dem Manchester United-Auflkleber an der Mittelstange.
    Er konnte es förmlich vor sich sehen. Schnapp, schnapp, erledigt. Wieder ein Level mehr. Leicht möglich, dass es nicht Colin selbst gewesen war; genauso gut konnte es sein, dass der Saboteur gar nicht gewusst hatte, wessen Fahrrad er vor sich hatte.
    An diesem Abend setzte Nick sich vor den Computer, checkte seine Mails und überlegte sich, was er Darleen Pember sagen sollte. Ob er sie überhaupt ansprechen sollte.
    Nachdenklich umkreiste er mit dem Mauszeiger die Stelle, an der sich früher das rote Ε befunden hatte. Wäre er jetzt gern in einer der Höhlen, an einem der Feuer? Ja. Nein. Ja. Er würde sich gern mit den anderen unterhalten. Vor allem aber hatte er riesige Lust, den Boten in seine knöchernen Einzelteile zu zerlegen.
     
    In der Freistunde am Mittwoch fing Emily Nick vor der Bibliothek ab. Sie waren so gut wie allein, denn die meisten lungerten draußen herum, um noch einen der letzten schönen Herbsttage zu

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