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Erebos

Erebos

Titel: Erebos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Poznanski
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dachte, wir wollen einander helfen?«
    »Ja. Das war mein Vorschlag. Ich denke, du bist kein blutiger Anfänger mehr. Du solltest bereit sein für das zweite Ritual.«
    Das ist mehr, als Sarius erwartet hat. Nach dem zweiten Ritual wird er eine Zwei sein, vermutet er.
    »Ich werde dich also heilen und dir mehr Stärke, mehr Ausdauer und eine bessere Ausrüstung geben«, fährt der Bote fort. »Ist das in deinem Sinn?«
    »Natürlich«, antwortet Sarius.
    Nun muss die Forderung des Boten kommen, der Preis, den er für all das zahlen soll. Doch der Bote schweigt, verschränkt die überlangen Fingerglieder ineinander. Wartet.
    »Und was kann ich für dich tun?«, fragt Sarius, als ihm die Pause zu lange dauert.
    Die gelben Augen seines Gegenübers leuchten auf.
    »Nur eine Kleinigkeit, aber sie ist wichtig. Es ist ein Botengang.«
    Sarius, der damit gerechnet hat, ein Monster besiegen oder gegen einen Drachen kämpfen zu müssen, weiß nicht, ob er erleichtert oder enttäuscht sein soll.
    »Mache ich gerne.«
    »Das freut mich. Folgendes trage ich dir auf: Fahre morgen nach Totteridge zur St Andrew’s Church. Dort steht eine uralte Eibe. In ihrer unmittelbaren Umgebung wirst du eine Kiste finden, auf der das Wort ›Galaris‹ steht. Sie ist verschlossen. Du wirst sie nicht öffnen, sondern in der Tasche verstauen, die du mitgebracht hast. Damit begibst du dich zum Dollis Road Viaduct, dort, wo es über die Dollis Road führt. Du legst die Kiste ins Gebüsch, unter einen der Bögen nahe der Straße. Verstecke sie so, dass nicht jeder Uneingeweihte sie sehen kann. Dann geh, ohne dich umzuwenden. Hast du alles verstanden?«
    Sarius starrt den Boten wortlos an. Nein, er begreift gar nichts. Totteridge und Dollis Road? Die liegen in London, nicht in der Welt von Erebos. Oder doch? Er zögert, überlegt, fragt zur Sicherheit schließlich nach.
    »Das heißt, ich muss deinen Auftrag in London erfüllen? In der Realität?«
    »Genau das heißt es. Was immer ›Realität‹ bedeuten mag.«
    Der Bote blickt abwartend, doch Sarius hat keine schnelle Antwort parat. Das ist doch alles Unsinn. Er wird keine Kiste bei St Andrew’s finden, wie sollte das gehen? Andererseits – behaupten konnte er viel. Zum Beispiel, dass er den Auftrag genau wie beschrieben ausgeführt hätte.
    »Gut, ich tu es.«
    »Das freut mich. Warte nicht zu lange. Wir sehen uns morgen, noch vor dem Mittag. Bis dahin muss deine Aufgabe erfüllt sein. Falls du mich enttäuschst …«
    Zum ersten Mal, seit Sarius ihm begegnet ist, stiehlt sich ein Lächeln in die Züge des Boten. Als wüsste er um die Hintergedanken in Sarius’ Kopf.
    »… falls du mich enttäuschst, ist dies unsere letzte Zusammenkunft unter freundschaftlichen Umständen.«
    Mit einer grüßenden Geste wendet der Bote sich um und geht; hinter ihm verschließt sich der Höhleneingang. Mit dem Spalt verschwindet auch das Licht. Schwärze. So undurchdringlich, dass Sarius nicht mehr weiß, ob er Teil dieser Dunkelheit ist oder ob er aufgehört hat zu sein.
     
    Am Ende sterben wir alle. Seltsam, dass die meisten solch ein Aufhebens darum machen, ob es nun früher oder später passiert. Die Zeit fließt wie Wasser und wir treiben mit, sosehr wir auch versuchen, gegen den Strom anzuschwimmen.
    Wie wohltuend es ist, das aufzugeben. Die Tage und Nächte verfliegen zu lassen, den Gang der Welt nicht mehr zu sehen, zu hören oder zu spüren. In einer eigenen Welt zu leben, in der selbst geschaffene Regeln gelten. Nicht mehr unzähligen Zielen nachzulaufen, sondern nur ein einziges zu verfolgen, stetig und konsequent.
    Oh ja, konsequent. Ich bin nicht mehr viel, doch ich bin konsequent. Was ich entstehen lasse, ist gut; es ist so viel besser, als ich selbst es bin. Eines der wenigen Dinge im Leben, denen ich noch Sinn abgewinnen kann, besteht darin, etwas zu erschaffen, das weit über das eigene Selbst hinauswächst. Und es wächst. Wächst.
    Eben bemerke ich es. Ich war unaufrichtig, als ich sagte, es wäre mir gleichgültig, wie lange die Lebensspanne der Menschen um mich währt. Das ist es nicht. Doch mir liegt nichts an einer Verlängerung, im Gegenteil. Ich sitze hier und schleife mein Werkzeug, mit dem ich kürzen werde, was zu kürzen ist.

7.
    Alle Tastenkombinationen auf dem Keyboard waren sinnlos. Mit einem Seufzen betätigte Nick den Reset-Button und zu seiner Erleichterung setzte der Computer zu einem Neustart an und fuhr hoch. Die Zeit, bis endlich sein Desktopbild erschien und alles

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