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Erebos

Erebos

Titel: Erebos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Poznanski
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er überhaupt angerufen hatte.
    »Hör mal, ich hab zu tun«, sagte Colin. »Wenn du nur quatschen willst, können wir das in der Schule machen. Okay?«
    »Warte! Ich wollte dich etwas zu Erebos fragen. Und zwar … Ich habe so eine seltsame Aufgabe bekommen, ich musste –«
    »Halt die Klappe, ja?«, unterbrach ihn Colin. »Du hast doch die Regeln gelesen, oder? Verbreite keine Informationen, auch nicht unter deinen Freunden! Sprich nicht über den Inhalt des Spiels. Bist du dämlich, oder was?«
    Einen Augenblick lang blieb Nick die Luft weg.
    »Aber … aber … nimmst du das so ernst?«
    »Das ist ernst. Behalt deinen Kram für dich oder du fliegst schneller raus, als du bis drei zählen kannst.«
    Nick schwieg. Der Gedanke rauszufliegen hatte etwas wirklich Unangenehmes. Demütigendes.
    »Ich … ich dachte nur. Vergiss es«, sagte er.
    Als Colin antwortete, war sein Ton hörbar freundlicher. »Sind nun mal die Regeln, Alter. Und glaub mir, es lohnt sich, sie einzuhalten. Das Spiel ist so geil. Und es wird immer besser.«
    Die Tasche mit der geheimnisvollen Kiste wog schwer in Nicks Hand. »Freut mich«, sagte er. »Also dann …«
    »Du bist ja noch nicht so lange dabei.« Nun klang Colin eifrig. »Aber du wirst schon noch sehen. Nur halt dich an die Regeln. Dazu gehört nun mal, dass man nicht rumplappert.«
    Nick nutzte den Stimmungsumschwung seines Freundes für eine letzte Frage. »Ist dir das Spiel eigentlich schon mal abgestürzt?«
    Nun lachte Colin. »Abgestürzt? Nein. Aber ich weiß, was du meinst.« Er senkte seine Stimme, als befürchtete er, jemand könnte mithören. »Manchmal … will es einfach nicht. Es wartet. Es prüft dich. Weißt du was, Nick? Manchmal glaube ich, es lebt.«
     
    Nick ließ die bunten Kleingärten rechts und links des Weges hinter sich. Der Dollis Brook floss gemächlich neben ihm her, fast ohne ein Geräusch zu machen.
    ›Manchmal glaube ich, es lebt.‹ Sehr witzig, Colin.
    Die Sonne trat hinter den Wolken hervor, just in dem Augenblick, als der Weg Nick in den Wald führte. Er blieb stehen und drehte sein Gesicht den wärmenden Strahlen entgegen. Wenn er sich im Wald ein ruhiges Plätzchen suchte und dort ganz behutsam das Klebeband von der Kiste löste … Nur für einen Blick? Nur um zu wissen, was da Schweres drin war?
    Nick ließ drei Jogger an sich vorbeiziehen und sah sich um. Jetzt war er unbeobachtet. Eine Spaziergängerin mit Hund war zwar in Sichtweite, aber noch ausreichend weit entfernt.
    Mit einem prickelnden Gefühl im Nacken holte Nick die Kiste aus der Tasche. Sie war höchstens so groß wie eine Zigarrenkiste, doch der Inhalt hatte mit Zigarren sicher nichts zu tun. Nick hielt die Schachtel schräg und was auch immer darin war, rutschte nach links.
    Vermutlich war es aus Metall und nicht besonders groß. Zog man die Zeit in Betracht, die es brauchte, um von einem Kistenrand zum anderen zu gleiten, füllte es nicht einmal die Hälfte des Behältnisses aus.
    Probehalber schob Nick einen Fingernagel unter die Kante des Klebebands. Das saß scheußlich fest. Der Versuch, es abzubekommen, würde lange dauern und Spuren hinterlassen. Keine gute Idee.
    Wütendes Kläffen riss Nick aus seinen Gedanken. Ein Labrador und ein hellbrauner Jagdhund waren sich ein Stück hinter ihm begegnet und fanden einander offenbar unsympathisch. Die dazugehörigen Hundebesitzer zerrten an den Leinen, um die Tiere zu trennen.
    Nick ließ die Kiste in der Tasche verschwinden und trat in den Wald, begleitet vom Jaulen eines der Hunde.
     
    Es war nicht schwierig, das Dollis Brook Viaduct zu finden, denn es ragte hoch über Wald und Straße hinaus und trug außerdem die Schienen der Northern Line. Eine U-Bahn, die achtzehn Meter über dem Boden verlief, im hellen Sonnenschein. Unter dem Viadukt hingegen war es schattig und feucht.
    Einer der Bögen nahe der Straße, hatte der Bote gesagt. ›Nahe‹ war relativ. Nick entschied sich für die zweite der gewaltigen Bogensäulen und versenkte die Kiste im Gras, das direkt am Fuß des Steinpfeilers besonders hoch wucherte. Hier konnte sie gefunden werden, aber niemand würde zufällig darüber stolpern.
    Zufrieden sah Nick sich um, bis ihm die Worte des Boten wieder einfielen. ›Geh, ohne dich umzuwenden‹, hatte er gesagt.
    Weil sonst was passieren würde? Logisch betrachtet würde gar nichts sein: Das Spiel konnte nicht wissen, ob und wie er seinen Auftrag erledigt hatte. Andererseits hatte es seinen Namen gekannt. Das Versteck der

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