Erebos
Sie, was ich mir wünsche? Das können Sie doch gar nicht wissen.«
»Das ist die Macht von Erebos. Sei froh, dass du sie auf deiner Seite hast.«
Der Bote legt den Kopf schief und ein Lächeln verzerrt seine hageren Züge.
»Enttäusche uns nicht, dann bleibt sie es. Und nun sag mir, wonach dir der Sinn steht. Du kannst bei der Zerstörung eines Ork-Dorfes helfen, da gäbe es eine Menge Gold zu holen. Oder du suchst den geheimen Durchgang zur Weißen Stadt. Dort finden morgen Arenakämpfe statt. Gute Gelegenheit, um aus einer Zwei eine Drei zu machen. Oder gar eine Vier.«
»Das geht?«
»Und ob das geht. In der Arena zeigt sich, aus welchem Holz ein Kämpfer geschnitzt ist. Dort kannst du alles gewinnen und alles verlieren. Besser natürlich, du gewinnst. Wunschkristalle, Waffen, Ränge. Beim letzten Mal hat ein Vampir namens Drizzel einem anderen Vampir namens Blackspell drei Ränge abgenommen. In einem einzigen Kampf.«
»Das geht?«, wiederholt Sarius, begeistert von den Möglichkeiten, die sich plötzlich auftun.
»Selbstverständlich.«
Sarius’ Entscheidung steht fest. Zum Teufel mit dem Ork-Dorf.
»Ich suche die Stadt.«
»Gute Wahl. Dann bleibt nur zu hoffen, dass du sie beizeiten findest. Die Einschreibung für die Kämpfe endet morgen, wenn die Turmuhr drei schlägt. Viel Glück.«
Der Bote verabschiedet ihn mit einem Winken seiner Knochenfinger und Sarius tritt aus der Höhle, auf eine blühende, sonnenüberflutete Wiese hinaus. Wieder einmal ist er ganz auf sich allein gestellt.
Blühende Bäume, blühende Sträucher. Er dreht sich um die eigene Achse, doch da ist nirgends der geringste Hinweis auf eine weiße Stadt. Um nicht bloß herumzustehen, läuft er einfach geradeaus. Das hat sich schon einmal bewährt.
Das Vogelzwitschern geht ihm auf die Nerven. Es verbreitet Picknickstimmung anstelle von abenteuerlicher Atmosphäre. Ein geheimer Durchgang ist ebenfalls nicht in Sicht. Nicht mal ein Maulwurfshügel.
Obwohl, da vorne im Gras liegt etwas. Könnte ein Stück Tuch sein, eine Flagge vielleicht. Er geht näher, bückt sich, erstarrt. Hebt blutgetränkten Stoff auf, der noch tropft. Ein Hemd.
Von ferne hört er ein Geräusch wie verhaltenes Knurren. Sarius lässt das Hemd fallen und beginnt zu laufen. Von dem Knurren weg, das nicht tierisch klingt und nicht menschlich, sondern eine schauderhafte Mischung von beidem ist. Seine Ausdauer hält jetzt länger, stellt er zufrieden fest, während er über eine leichte Anhöhe läuft.
Es ist purer Zufall, dass er gerade noch abbremst, bevor er in einen Krater stürzt, der sich unvermittelt am Scheitel des Hügels auftut. Sarius wirft einen Blick in die Tiefe, die zerklüftet, schroff und keinesfalls einladend aussieht. Hinter ihm wird das Knurren lauter und trotz all seiner Neugier will er nicht wissen, wer oder was dieses Geräusch ausstößt. Ein paar Schritte weiter rechts entdeckt er eine rostige Leiter, die ganz und gar nicht vertrauenerweckend aussieht, die aber eine verlockende Möglichkeit zu sein scheint, dem knurrenden Wesen zu entkommen. Er denkt an das blutige Hemd und setzt vorsichtig einen Fuß auf die erste Sprosse. Es knirscht, doch gleichzeitig beginnt wieder die wunderbare Musik und bestärkt Sarius in seiner Überzeugung, auf dem richtigen Weg zu sein. Es gibt nichts, was er falsch machen könnte. Ohne weiter zu zögern, klettert er die Leiter hinunter, von der Melodie getragen und voller Vorfreude auf das, was ihn unten erwarten wird. Mit jeder Leitersprosse, die er absteigt, wird es dunkler. Als er unten ankommt, kann er nur noch das erkennen, was die Fackeln an den Wänden in zuckendes Licht tauchen: grob gehauene Felswände, Wege, Durchgänge, Abzweigungen. Er ist in einem Labyrinth gelandet. Auf gut Glück geht er los und verliert binnen Sekunden die Orientierung.
In seinem Inventar befindet sich nichts, was zum Markieren der Wände taugen würde. Keine Kreide, kein Faden. Er könnte nur versuchen, Kratzer in den Fels zu machen, aber er wird sich hüten. Nicht mit dem neuen Schwert.
Ein Blick nach oben verrät ihm, dass der Spalt, durch den er abgestiegen ist, schon weit hinter ihm liegt. Das Tageslicht reicht nicht mehr bis hierhin, doch in unregelmäßigen Abständen sind Fackeln an den Wänden angebracht. Dazwischen herrschen alle Abstufungen von Dunkelheit.
Sarius läuft weiter, seine Schritte hallen vielfach wider. Sind es nur seine? Er bleibt stehen, der Hall verklingt.
Die Musik ermuntert ihn, seinen Weg
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