Erfindung der Violet Adams
muslimischen Zeugen gab. Miriam sah sich um und glitt langsam und leise von der Bank hinunter, auf der sie gekniet hatte, um aus dem Fenster zu sehen. Sie kroch zur Tür, griff nach der Klinke und öffnete sie. Der Klang des Regens wurde lauter, die Tropfen fielen in den Schmutz, dick und schwer. Sie konnte nicht weiter als einige Fuß vor sich sehen. Sie atmete tief durch, dann rannte sie hinaus in den Regen.
Sie war augenblicklich durchnässt. Ihr Kleid pappte an ihrem Körper. Ihr langes Haar, das unter einem Kopftuch versteckt war, löste sich durch sein Gewicht und klebte an ihrem Kopf. Sie lachte. Das Wasser fühlte sich kalt und gut an und rann ihr über das Gesicht. Außer Regen und Matsch sah sie nichts. Sie war allein auf der Welt und musste sich nicht um die Moslems sorgen oder um die Juden und ihre Familie und ihre Benimmregeln. Sie war frei und eigenständig. Zum ersten Mal fühlte sie sich nicht wie ein kleiner Teil eines größeren Ganzen, zu dem sie freiwillig nie hatte gehören wollen und das von Regeln und Normen regiert wurde, sondern als Miriam, nur Miriam, ganz und gar. Sie lachte lauter und schaute in den Himmel. Die Regentropfen sausten aus einem silbernen Hintergrund auf sie hinab.
Doch dann hatte ihr Vater sie hochgehoben und war zurück mit ihr ins Haus gelaufen. »Was treibst du da?«, hatte er gebrüllt und sie hinuntergelassen. Ihre Mutter hatte direkt hinter der Tür gestanden, die Hände ängstlich umklammert, doch jetzt schritt sie zur Tat, zog Miriam aus und hängte ihre Kleider zum Trocknen ans Feuer. »Weißt du, was die Moslems getan hätten, wenn sie dich gesehen hätten?«, fuhr ihr Vater fort. »Sie hätten dich umgebracht!« Miriam war jetzt nackt und zitterte. Ihre Mutter zog sie näher ans Feuer. Ihr Vater seufzte und senkte die Stimme. »In ihren Augen sind wir schmutzig. Wenn wir in den Regen hinausgehen, wird der unsichtbare Schmutz, von dem sie behaupten, dass er uns anhaftet, in den Matsch gewaschen. Sie könnten hineintreten und sich ihre Stiefel schmutzig machen. Dafür würden sie uns töten.«
»Aber wenn sie in den Matsch treten, werden ihre Stiefel ohnehin schmutzig, auch wenn ich nicht im Regen gespielt habe«, sagte Miriam.
Ihr Vater seufzte erneut, setzte sich und warf ihrer Mutter einen Blick zu. »Das ist etwas anderes«, erklärte ihre Mutter. »Es liegt daran, dass wir Juden sind.«
»Dann will ich kein Jude sein«, meinte Miriam.
Ihre Mutter schlug sie ins Gesicht. »Sag das nie wieder«, sagte ihre Mutter und umarmte die jetzt weinende Miriam zärtlich, bevor sie sie anzog. Miriam kniete sich wieder ans Fenster und sah in den Regen hinaus. Er fiel immer heftiger, doch der Gedanke, in ihm zu spielen, ließ Miriam sich leicht fühlen.
Eine Woche später brachen die Jugendlichen des Orts wieder in das Geschäft ihres Vaters ein, und diesmal zerstörten sie genauso viel, wie sie stahlen. Zwei Wochen später emigrierte die Familie nach Paris.
Miriam starrte in den Himmel. Der Regen fiel jetzt so heftig, dass sie kaum das andere Flussufer sehen konnte.
»Als ich gesagt habe, dass wir uns im Garten treffen, bin ich davon ausgegangen, dass Sie einen Platz in einem Eingang wählen und nicht im Regen«, sagte Volio unfreundlich hinter ihr. Miriam drehte sich um. Er war nicht für das Wetter angezogen. Sein dunkles Haar klebte an seiner gespensterhaften Haut und ließ ihn schleimig und kalt aussehen. In seinen Augen spiegelte sich das Licht eines nahen Laternenpfahls.
»Ich mag den Regen«, sagte Miriam nur. Sie holte den falschen Brief aus ihrer Umhängetasche und gab ihn Volio, der ihr Handgelenkt mit einer Hand ergriff und festhielt und mit der anderen nach dem Brief schnappte. Er steckte den Brief in die Tasche und grinste sie an. »Sie haben Ihren Brief«, sagte sie und versuchte, nicht ängstlich zu klingen. »Lassen Sie mich gehen.«
»Ich habe darüber nachgedacht«, sagte Volio, der noch immer ihr Handgelenk festhielt, »wie viel Zeit meines Lebens ich wissenschaftlichen Zwecken widme und dass mir nur wenig Zeit für die Romantik bleibt. Hin und wieder bin ich bei einer Hure gewesen, aber ich mag nicht für etwas bezahlen, das andere kostenlos bekommen, deshalb gehe ich gewöhnlich zu den nicht so teuren, die nicht wie eine Lady vögeln können. Aber Sie … Sie sind eine teure Hure, nicht wahr? Sie vögeln einen Baron, arbeiten als Gouvernante. Und Sie, Sie kann ich umsonst vögeln.«
Der Regen hatte ihr Handgelenk glitschig gemacht, und als
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