Erfindung der Violet Adams
»Weil ich traurig bin, dich zurückzulassen«, sagte sie und kniff ihn in die Wange. »Du bist ein guter Junge, Ernest. Ein netter Bursche. Du bist fast wie ein großer Bruder für mich, denke ich. Wenn wir nicht gerade nackt sind. Ich glaube, ich liebe dich ein bisschen. Aber glaub ja nicht, dass ich diese Hochzeit abblasen werde.«
»Darum würde ich dich auch nie bitten«, sagte Ernest ehrlich. »Ich will nur, dass du glücklich bist.«
»Das bin ich«, strahlte Del.
Nachdem sie gegangen war, hörte Ernest zu rauchen auf und kehrte zu käuflichem Sex zurück, manchmal verwöhnte er ein anderes Dienstmädchen oder eine junge Witwe, aber er hatte keine Beziehung mehr wie die, die er zu Del gehabt hatte.
Und eines Tages beschloss er, dass es genug war, und richtete all seine Energie auf die Wissenschaft und die Schule. Er war jetzt fast zwei Jahre keusch gewesen. Er schleppte sich in seine Gemächer und machte sich fertig, um ins Bett zu gehen. Er fragte sich, ob er jemals richtige Leidenschaft erlebt hatte. Seinerzeit hatte er ein oder zwei Gedichte gelesen; die Art, wie in ihnen die Liebe beschrieben wurde, kam ihm absurd vor – das Sehnen der Herzen und Körper, das damit einhergehende Verlangen. Ernest hatte nie ein solches Verlangen gespürt, nie ein Begehren, das er nicht mit dem Verstand bezwingen konnte. Warum hatte es sich dann wie eine starke magnetische Gewalt angefühlt, so vollkommen unabwendbar, als seine Lippen denen von Ashton begegnet waren? War es das, was die Dichter meinten? Wie furchtbar, wenn jede Liebesaffäre so überwältigend und unkontrollierbar wäre.
Ashton zu küssen, ergab auch keinen Sinn in der Reihe seiner Experimente. Selbst jetzt, als er in seinem Schlafanzug im Bett lag, erregten ihn die Gedanken an Ashton auf eine Weise, die er sich nicht erklären konnte.
So hatte er nie für eine andere Frau empfunden, und mit Sicherheit nicht für einen Mann. Er rief sich den Streit noch einmal ins Gedächtnis und dann den Kuss und berührte seine Lippen, während er dies tat. Doch als er weiter darüber nachdachte, verschwamm Ashton, sein Haar wurde länger, sein Körper kurviger, die Leidenschaft in seinen Augen blieb unverändert – und nahm eine Gestalt an, die Ashtons Schwester Violet verblüffend ähnlich sah. Er war nicht schwul, sagte sich Ernest und warf sich im Bett hin und her; es war die verwirrende Natur von Zwillingen. Der Gedanke war eine Erleichterung. Sicher, er hatte einem Schüler gegenüber die Kontrolle verloren, doch er hoffte, dass die Peinlichkeit mit der Zeit in Vergessenheit geraten würde. Er musste Ashton einfach eine Weile aus dem Weg gehen.
Plötzlich merkte er, wie hungrig er war. Cecily hatte ihm ein Abendbrottablett gebracht, doch er hatte es im Labor stehen gelassen. Er sah auf die Uhr. Es war fast zehn. Das Abendessen würde kalt sein, aber essbar. Er ging in sein Labor hinunter und schaltete das Licht an. Miriam stand allein in dem Raum und sah einen Moment überrascht und schuldbewusst aus, bevor ihr Gesicht ihren üblichen passiven Blick annahm.
»Was machen Sie denn hier, Mrs Isaacs?«, fragte er und ging zu dem Tablett mit dem Abendessen.
»Miss Cecily hat mich gebeten, ein paar Materialien aus Ihrem Labor für ihre Experimente zu holen«, antwortete Mrs Isaacs und neigte leicht den Kopf. Der Duke fragte sich, wann sie wohl ihre schwarzen, hochgeschlossenen Kleider ablegte und ob sie jemals ihr Haar aus dem festen Knoten löste.
»Gut, nehmen Sie aus den Schränken, was Sie brauchen. Aber bitte nicht von den Tischen. Mit dem, was auf den Tischen liegt, arbeite ich.«
»Ich habe bereits nachgesehen, Sir, Sie haben nicht, was sie braucht. Ich werde im Chemielabor nachsehen müssen.«
»Gut. Gute Nacht, Mrs Isaacs.«
»Gute Nacht, Sir.«
Mrs Isaacs verneigte sich und rauschte wie ein Schatten aus dem Raum, während der Duke einen Bissen von dem Hähnchen aß.
Draußen im Gang steuerte Miriam auf den Keller zu. Sie hatte den Duke angelogen, aber sie hatte ihre Gründe. Sie hatte in seinem Labor nicht nach Materialien gesucht, sondern nach einem Beweis, einer Erklärung für das, was sie im Keller gesehen hatte.
Miriam hatte versucht, ihre Neugierde zu bezähmen. Sie hatte versucht, sich abzulenken, indem sie Cecilys Deutschstunden für sie beide schwieriger gemacht, Cecilys komplexe chemische Formeln studiert oder lange Wochenenden mit Toby und seinen schon schmerzhaft geschickten Händen im Bett verbracht hatte, doch die Wahrheit war
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