Erfindung der Violet Adams
froren.
»Scheiß drauf«, sagte Bracknell. Violet hatte aufgehört, in Bracknells Unterricht aufzupassen, seit sie herausgefunden hatte, dass er ekelhaft war, egal, wie sie sich verhielt. Wenn sie versuchte, es ihm recht zu machen und fleißig lernte und jede Frage richtig beantwortete, nannte er sie einen Waschlappen, und wenn sie nicht aufpasste oder eine falsche Antwort gab, bezeichnete er sie als dumm. Nicht aufzupassen, war einfacher.
»Ich sehe verdammt noch mal keinen Sinn darin, Astronomieunterricht abzuhalten, wenn es schneit«, schimpfte er, »aber Ihr Direktor, der verdammte Duke von Blödheit, hat gesagt, dass ich etwas tun muss.« Er hielt inne und blickte aus dem Fenster. Ein Lächeln breitete sich auf seinen Lippen aus. Violet gefiel das nicht.
»Ich hab’s«, fuhr er fort. »Wie wäre es mit einem kleinen Test? Einem ganz kleinen Test. Oh, ja. Das ist natürlich nicht Ihr Abschlusstest – der kommt erst im dritten Jahr – , aber ein Test. Sie müssen arbeiten. Ich nicht. Das klingt doch perfekt. Holen Sie alle ein Blatt Papier heraus.«
Unter hörbarem Stöhnen holten die Schüler ein Blatt Papier und ihre Stifte heraus.
»Gut«, sagte Bracknell. »Zeichnen Sie mir eine Karte der Sterne, wie sie dieses Jahr an Weihnachten von diesem Observatorium aus aussehen werden. Benutzen Sie Ihre Bücher, wenn es sein muss, doch wenn Sie das tun, machen Sie sich klar, dass Sie Scheiße im Hirn und nichts gelernt haben.« Mit diesen Worten setzte sich Bracknell an seinen Tisch und holte ein Buch heraus – irgendeinen Fortsetzungsabenteuerroman für Jungen – und vertiefte sich in seine Lektüre. Die Schüler, die sich leicht aus dem Konzept gebracht fühlten, warteten einen Moment, dann begannen sie mit ihrer Arbeit.
Eine Karte der Sterne an Weihnachten. Violet dachte darüber nach und begann zu zeichnen. Weihnachten war schon in einer Woche. Dies war ihre letzte Unterrichtsstunde, bevor sie nach Hause in die Weihnachtsferien fuhren. Es würde traurig sein dieses Jahr, da ihr Vater nicht anwesend war. Mrs Wilks würde da sein und Ashton natürlich und vielleicht Jack, doch sie hatten keine Großfamilie, die zu Besuch kam, und keine Nachbarn, die länger als ein paar Minuten hereinschauen würden. Violet zeichnete Stern um Stern, Punkt um Punkt, und beschriftete jede Konstellation. Als sie sich im Raum umschaute, freute es sie zu sehen, dass niemand seine Bücher geöffnet hatte. Sie bemerkte, wie Bracknell aufblickte und dasselbe feststellte, allerdings mit Enttäuschung. Ihre Augen begegneten sich, und er starrte sie an, bevor er sich wieder seinem Buch zuwandte. Violet fragte sich, wie so ein Mann Wissenschaftler geworden war – oder Professor.
Als die Stunde vorbei war, stand Bracknell auf, sammelte die Blätter von den Schülern ein, selbst wenn sie noch schrieben, und verließ den Raum. Violet hatte das Gefühl, die Sterne richtig und mit Leichtigkeit gezeichnet zu haben, und hoffte, dass ihr Erfolg Bracknell über die Weihnachtstage ärgern würde.
»Frohe Weihnachten, Herr Professor!«, rief Merriman Bracknell hinterher, als er die Treppe hinunter verschwand. Bracknells Grummeln hallte leise wieder, bevor die Tür zuschlug.
»Nun«, sagte Jack, »Zeit, nach Hause zu fahren.«
Fairfax stand auf und verließ schweigend den Raum.
»Fröhliche Weihnachten, Roger!«, rief Merriman ihm hinterher. Fairfax antwortete nicht. »Ich liebe Weihnachten«, sagte Merriman zu niemandem im Besonderen.
Violet lächelte. »Schöne Weihnachten, Humphrey«, wünschte sie Merriman, der strahlte. »Dir auch, James.«
»Danke«, sagte Lane und stand auf. »Euch allen übrigens.« Er sammelte seine Bücher ein und ging.
»Ich möchte noch einmal hinaus auf den Turm, bevor wir gehen«, sagte Violet zu Jack.
»Es ist glatt da draußen«, warnte Jack. »Das ist keine gute Idee.«
»Ich gehe mit«, sagte Merriman.
»Gut«, nickte Violet. Sie ging zu der Glastür und öffnete sie. Ein kalter Windstoß fegte herein, der Unordnung in die losen Unterlagen brachte.
»Das wird Bracknell gar nicht gefallen«, meinte Merriman.
»Scheiß auf Bracknell«, sagte Violet und trat auf die schneebedeckte Dachterrasse. Jack und Merriman folgten ihr. Jack hatte recht: Es war glatt, und der Wind wehte stark, doch die Luft war frisch und kalt und fühlte sich auf Violets Haut feucht an. Langsam ging sie zu der Statue von Leonardo da Vinci auf dem Löwen und stützte den Kopf darauf, während ihr Blick über die Stadt schweifte.
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