Erfindung der Violet Adams
kleinen Teil seiner romantischen Gefühle in Worte fassen zu können, die, wenn sie schon nicht betörend und blumig waren, so doch in ihrer Direktheit eine gewisse Schönheit besaßen.
Er versiegelte den Umschlag mit goldenem Wachs und dem Siegelring seiner Familie und verließ sein Zimmer, um in den Garten zu gehen und sich mit Miriam zu treffen und ihr den Brief zu übergeben. Er wusste, dass Cecily nach dem Abendessen oft für sich zurückgezogen arbeitete oder las oder Zeit mit ihrem Cousin verbrachte, sodass es für Miriam leicht war, sich mit ihm zu treffen. Sie wartete bereits in der Nähe des Flusses; ein langer, dunkler Umhang umwehte ihre Gestalt, während sie in das fließende Wasser blickte. Volio näherte sich ihr leise und widerstand dem plötzlichen Bedürfnis, sie in den Fluss zu stoßen und zuzusehen, wie sie ertrank.
»Mrs Isaacs«, sagte er. Sie drehte sich um, und er hielt ihr den Brief hin. Sie nahm ihn mit regungsloser Miene entgegen, und er verschwand in den Taschen ihres Umhangs. Sie wandte sich wieder dem Fluss zu. Volio hasste es, wie sie ihn ignorierte, wie sie bei ihren Treffen die Oberhand behielt, obwohl diese eindeutig ihm zustand. Er stellte sich neben sie und blickte auf den Fluss. »Glauben Sie, dass das Wasser Sie von ihren Sünden reinwaschen kann, wenn Sie lange genug in den Fluss sehen?«, fragte Volio.
»Ich habe keine Sünden, von denen ich reingewaschen werden möchte«, sagte Miriam, ohne aufzublicken. »Sie haben mir Ihren Brief gegeben, Sie können jetzt gehen, Mr Volio.«
»Wenn Cecily und ich erst verheiratet sind, werde ich ihr verbieten, Sie je wiederzusehen. Sie sind hochnäsig für eine Dienerin, und die Tatsache, dass Sie zudem noch Jüdin sind, macht das nur noch schlimmer. Sie sollten fügsam sein, nicht anmaßend.«
»Die Juden würden Ihnen da recht geben« sagte Miriam mit einem leisen Murmeln, das vielleicht ein Lachen war.
»Denken Sie daran, ein Wort von mir, und Sie sind erledigt«, warnte Volio, bevor er Miriam allein in der Dunkelheit zurückließ.
Miriam wünschte sich, dass es regnete, dass das Wasser über ihr Gesicht und ihren Hals liefe und die verkrampften Muskeln in ihrer Brust löste. Sie wünschte sich, dass sie wieder in Frankreich wäre. Jeden Tag dort hatte sie entspannt neben Toby am Strand gelegen oder in den Thermalquellen gebadet, und jede Nacht hatten sie sich in ihrer eigenen privaten Villa geliebt und durch die offenen Fenster das Klatschen der Wellen gehört, die auf die Küste trafen. Manche Nächte waren kalt gewesen, doch das hatte sie nicht gekümmert. Toby hatte einfach noch weitere Decken ins Bett geschafft, und Miriam hatte sich an ihn geschmiegt, sodass es warm war.
Hier hörte sie nur das stetige Geräusch der Getriebe von Illyria, die sich unablässig drehten. Sie verließ die Mauern der Schule, so oft sie konnte. Wenn Toby im Bett war oder zu später Stunde noch im Chemielabor arbeitete, stahl sie sich oft in den Abend hinaus, stand in dem nebelverhangenen Garten und blickte auf den Fluss. Es war ein gutes Gefühl, nicht in Illyria zu sein, auch wenn sie direkt neben der Akademie stand. Illyria war ihr zu düster geworden: Erpressung und ein möglicher Mechanikmeister, der in den Nächten durch das Kellerlabyrinth schlich, waren mehr, als Miriam verkraftete. Sie betrachtete sich als stark. Schließlich hatte sie schon einiges durchgestanden: den Umzug nach Paris und später nach London, den Tod ihrer Eltern und ihres Ehemanns, das Leben auf den Straßen. Doch die Geheimnisse von Illyria erschöpften sie. Ein Feuer konnte sie löschen, einen toten Ehemann konnte sie nicht zurückbringen; das waren einfache Probleme. Was sich hinter der Tür ohne Griff befand, war etwas völlig anderes.
Seit sie aus Frankreich zurück waren, hatte sie Albträume. In ihnen jagten sie Roboter mit Klauen und dem Gesicht des Dukes bis zu der Tür ohne Griff, an die sie sich presste und die sich nicht öffnen ließ, während die Klauen immer näher kamen. Sie wachte erschrocken und nass geschwitzt aus ihnen auf. Jede Nacht ging sie durch den Keller, um das Gebäude zu verlassen, und jede Nacht schienen die Gänge, die weiter in den Keller hineinführten, nach ihr zu rufen. Neugierde gemischt mit Angst. So wollte sie nicht den Rest des Jahres verbringen. Deshalb ging sie in dieser Nacht, nachdem sie den Liebesbrief von Volio entgegengenommen hatte, in den Keller mit seinen dunklen Gängen, fest entschlossen, ihren Ängsten die Stirn zu
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