Erfindung der Violet Adams
von Sanftmut, dachte sie.
»Ich möchte die Bewerbungsunterlagen für meinen Bruder abgeben«, sagte Violet, als sie meinte, dass die Stille sich zu lange hinzog. »Er möchte im kommenden Schuljahr an der Akademie hier studieren.«
Der Fremde streckte die Hand aus, und Violet griff in ihre Handtasche, um ihre Bewerbung herauszuholen.
»Ich bin Ernest«, stellte der Mann sich vor. »Ich bin der Schulleiter.«
»Oh«, erwiderte Violet verwundert und hielt ihm ihre behandschuhte Hand entgegen. »Ich bin Violet Adams, Sir. Ich bin eine große Bewunderin Ihres Vaters und Ihrer großartigen Schule natürlich.«
Sie senkte leicht den Kopf. Sie hatte über den derzeitigen Duke gelesen. Man sagte, dass er ein großartiger Denker und Schulleiter war, aber er hatte nie einen Aufsatz publiziert oder auch nur eine einzige Erfindung der Öffentlichkeit präsentiert. Manch einer behauptete, dass er seinem Vater einfach nicht gerecht werden konnte, sich dessen auch vollkommen bewusst war und sich deshalb gar nicht erst an Erfindungen versuchte. Während andere sagten, er brächte es einfach nie fertig, ein Projekt zu vollenden. Und wieder andere unterstellten ihm, der verzogene Sohn eines brillanten Vaters zu sein, der selbst keine außergewöhnlichen Dinge zustande brachte. Aber als sie ihn jetzt vor sich sah, dachte Violet, dass er vielleicht doch etwas von seinem Vater hatte, jedenfalls rein äußerlich. Sein Mund war zwar schmaler als der seines Vaters, hatte aber den gleichen leicht schmachtenden Ausdruck, den sie auf allen Fotografien und Porträts des alten Dukes gesehen hatte, nur weniger ausgeprägt. Dieser Duke, Ernest, war um die dreißig Jahre alt und hoch gewachsen, mit heller Haut und braunen Augen.
Er neigte sich leicht über Violets Hand und lächelte sie an.
»Es ist immer eine Freude, einen Bewunderer meines Vaters zu treffen«, sagte er sanft.
»Nun, dann kann es Ihnen ja nicht an Freude mangeln«, bemerkte Violet und zog ihre Hand zurück. Es gehörte sich nicht, ohne Begleitung mit einem jungen Herrn zu sprechen, dachte sie. Sie blickte über die Schulter des Dukes zu ihrer Kutsche hin, um sich zu vergewissern, dass Antony noch da war. Als sie sah, dass er an die Kutsche gelehnt auf sie wartete und zu ihnen herübersah, fühlte sie sich ein wenig erleichtert.
Der Duke lachte über ihren Scherz und nickte. »Es ist wahr, ich treffe oft Bewunderer meines Vaters«, bestätigte er und blickte einen Moment zu Boden, »doch das sind nur selten junge Damen. Sie möchten die Bewerbung ihres Bruders abgeben, sagten Sie?«
»Ja«, sagte Violet und zog sie aus ihrer Tasche. »Ich habe ihm versprochen, das für ihn zu erledigen, weil er meint, dass es Unglück bringen könnte, selbst vorbeizukommen.«
»Nun, ich werde Sie entgegennehmen, da ich Sie leider nicht hereinbitten darf. Doch ich könnte Ihnen stattdessen die Gartenanlagen zeigen, wenn Sie das möchten«, sagte er und bot ihr seinen Arm. Violet runzelte die Stirn. Eine Führung durch den Garten wäre wunderbar, sie könnte dabei das Gebäude näher in Augenschein nehmen. Doch sie kannte diesen jungen Duke nicht, wusste nur, dass er keine fachliche Reputation hatte und was die wissenschaftlichen Zeitschriften über ihn mutmaßten. Obwohl er seinem Vater in mancher Hinsicht gleichen mochte, konnte er durchaus ein Wüstling hinter der Fassade eines Wissenschaftlers sein. Aber Violet war niemand, der sich einschüchtern ließ und schon gar nicht, wenn sie sich von etwas einen Vorteil versprach. Zu dem Duke freundlich zu sein, tat ihrer beziehungsweise der Bewerbung ihres Bruders sicher gut.
Sie nahm seinen Arm und sagte: »Das klingt verlockend, wenn auch nicht ganz so verlockend, wie die Akademie von innen zu sehen.«
»Sie sind nicht die erste Dame, die das sagt, aber ich kann Sie leider nicht hineinlassen. Mein Vater hat verfügt, dass die Schüler, genau wie der König von Navarra, keine weibliche Gesellschaft haben dürfen.«
»Und Ausnahmen gibt es keine?«, fragte Violet sanft.
Der Duke lächelte und blickte zur Seite. »Nun ja, meine Gemächer befinden sich in der Schule«, begann er, »und mein Mündel lebt dort, genau wie ihre Gouvernante. Und manchmal kommt meine Patentante, die Countess Lovelace – Lady Byron – zu Besuch.«
Violet war schockiert, versuchte jedoch, es sich nicht anmerken zu lassen. Sie war augenblicklich neidisch auf sein Mündel, wer auch immer sie sein mochte. Ja, sie war sogar neidisch auf die Gouvernante, dass sie
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