Erfindung der Violet Adams
enttäuscht.
»Mir war zu warm«, erklärte Violet. »Wer war der junge Herr?«
»Das war Ronny Findlay. Seine Familie besitzt ein Stadthaus ein paar Straßen weiter.«
»Du hättest mich ruhig vorstellen können«, sagte Violet sanft.
Ashton blickte sie wütend an. »Nächstes Mal.«
Violet wusste schon lange, dass ihr Bruder schwul war, aber es kümmerte sie nicht sonderlich. Sie verglich Menschen immer mit Zahnrädern: Eins alleine konnte nur wenig ausrichten, doch zwei, die perfekt zusammenpassten und aufeinander abgestimmt rotierten, konnten erheblich mehr bewirken. Und Zahnräder hatten kein Geschlecht. Entweder sie passten ineinander oder sie passten nicht. Ashton hatte es mit vielen anderen Zahnrädern versucht. Bisher hatte keins richtig gepasst, doch Violet war sicher, dass das eines Tages der Fall sein würde. So wie sie nicht daran zweifelte, dass sie eines Tages, wenn sie sich als Wissenschaftlerin einen Namen gemacht hatte, mit einem anderen Wissenschaftler an so vielen Projekten und Erfindungen zusammenarbeiten würde, dass sie irgendwann aus reiner Gewohnheit und gegenseitigem Respekt heirateten. Doch das lag in ferner Zukunft, dachte sie. Sie würde eine derjenigen sein, die erst spät den Bund der Ehe eingingen. Eine alte Jungfer. Das machte ihr allerdings nichts aus, sie war bereits mit der Wissenschaft verheiratet.
»Warst du schon im Pub?«, fragte Violet, die gerne nach Hause wollte. Sie sehnte sich nach ihrem Labor, nach dem beruhigenden Gefühl von solidem Metall in ihren Händen. Sie wollte den Geruch der Hortensien loswerden, den sie noch immer an ihren Fingern zu riechen meinte.
»Aber ja«, sagte Ashton. »Du warst ziemlich lange weg. Hast du versucht, an den Mauern hochzuklettern und einzubrechen?«
»Nein«, gab Violet zurück. »Ich habe den Duke von Illyria getroffen.«
»Oh«, sagte Ashton mit weit aufgerissenen Augen. »Das ist nicht gut, oder?«
Violet seufzte und setzte sich auf den nächstbesten Stuhl. »Ich weiß es nicht«, gab sie zu. »Er scheint sehr freundlich zu sein.«
»Aber wird er dich nicht wiedererkennen? Bei deinem Bewerbungsgespräch?«
Violet blickte auf. Daran hatte sie noch gar nicht gedacht. »Nein«, beteuerte sie. »Ich bin mir sicher, dass die Verkleidung, die du für mich ausgesucht hast, wirklich gut ist. Außerdem schien er nicht der Hellste zu sein.« Sie hob das Kinn, als wollte sie ihre überragende Intelligenz demonstrieren.
»Na hoffentlich«, sagte Ashton.
»Bist du fertig? Ich bekomme langsam Hunger. Ich möchte gerne aus diesem Kleid heraus und ein paar Scones essen.«
»Oder Muffins«, fügte er hinzu. »Dann lass uns fahren. Wenn ich erst einmal an Muffins gedacht habe, bin ich erst zufrieden, wenn ich welche verspeist habe.«
Draußen auf der Straße gab Antony den Pferden Wasser. Die ganze Stadt flirrte von der glühenden Hitze und roch nach Pferdemist und abgestandenem Alkohol. Violet verstand, warum jeder, der es sich leisten konnte, London im Sommer den Rücken kehrte. Im Inneren der Kutsche holte Ashton mit einem diabolischen Grinsen eine Flasche Weißwein und zwei Gläser hervor.
»Im Stadthaus gibt es auch einen Weinkeller. Und da wir fast nie da sind, ist er gut bestückt«, erklärte er. Er schaffte es, den Wein einzugießen, ohne sich dabei von dem Ruckeln der Kutsche stören zu lassen, was Violet auf den Gedanken brachte, wie oft er wohl schon unterwegs getrunken hatte. Sie trank nur selten Alkohol, doch Wein war genau das, was sie jetzt brauchte. Sie spürte, wie sie ruhiger wurde, während sie an ihm nippte.
Die Sonne ging langsam unter, und durch den Wein und die Luft, die ins Innere der Kutsche drang, als sie die Vororte erreicht hatten, das holprige Kopfsteinpflaster hinter sich ließen und sie auf die Landstraße kamen, fühlte Violet sich schon wieder ziemlich gut.
»Ich weiß jetzt, wie wir das mit der Verkleidung machen«, sagte Ashton mit einem Blick auf die hinter ihnen liegende Stadt. »Wir gehen zu meinem Schneider und sagen ihm, dass wir für einen Kostümball in die Rolle des jeweils anderen schlüpfen wollen, dann soll er dich vermessen und dir einen Anzug schneidern.«
»Ich schätze, wenn ich in Illyria angenommen werde, brauche ich mehr als einen Anzug«, warf Violet ein.
»Ich weiß. Darüber habe ich mir auch schon Gedanken gemacht. Ich schreibe mir die Maße auf und gehe damit zu Whiteleys in der Stadt und sage, dass ich die Anzüge für einen Freund kaufe. In den Kaufhäusern werden so gut
Weitere Kostenlose Bücher