Erfindung der Violet Adams
sich in den heiligen Hallen aufhalten durfte, in die sie selbst so verzweifelt Einlass suchte. Auf die Countess Lovelace war sie nicht neidisch. Sie war eine der bedeutendsten Wissenschaftlerinnen dieses Jahrhunderts und hatte es weit mehr verdient als Violet, sich in der Akademie aufzuhalten. »Ich bin eine große Bewunderin von Lady Byron«, sagte Violet. »Es muss eine Ehre sein, ihr Patenkind zu sein.«
»Oh, ja. Sie und mein Vater standen sich sehr nahe, seit er ihr mit einer von ihm entwickelten experimentellen chirurgischen Methode das Leben gerettet hat. Einige Jahre später wurde ich geboren, und meine Eltern fanden, dass Tante Ada eine gute Patentante wäre.«
»Es muss wunderbar gewesen sein, unter solch großartigen Wissenschaftlern aufzuwachsen.« Der Duke blickte über den Fluss, dann nickte er langsam. Sie hatten die Grenze des Gartens erreicht, wo das Flusswasser gegen die Schulmauern schwappte. Das große Wasserrad drehte sich, Wasser floss darüber und darunter. Violet betrachtete es eine Weile, inspizierte die handwerkliche Kunst, wie jede Schaufel genau ausgerichtet war und das Rad selber exakt so tief im Wasser hing, dass es die gesamte Kraft der Strömung nutzen konnte.
»Mögen Sie Gärten?«, fragte der Duke, »oder wollten Sie bloß das Wasserrad von Nahem sehen?«
»Ich muss zugeben, dass ich das Rad unbedingt sehen wollte«, gab Violet zu. »Ich hatte gehofft, seine Funktionsweise besser zu verstehen, wenn ich es sähe. Aber es scheint einfach genial zu sein. Ich verstehe nicht, wie es den Strom für das gesamte Gebäude liefern kann.«
Der Duke lächelte sie an, und sie lächelte leicht verlegen zurück.
»Ich wollte Ihre Freundlichkeit wirklich nicht ausnutzen«, entschuldigte sie sich.
»Das habe ich auch nicht so empfunden. Ich werde Ihnen erklären, wie das Wasserrad so viel Strom erzeugen kann: durch Getriebe. Getriebe, die miteinander verzahnt sind. Überall. Das ganze Gebäude klickt ständig von dem Geräusch der ineinandergreifenden Zahnräder, als würde man in einem gigantischen, technischen Apparat leben. Was so gesehen ja auch stimmt.«
»Faszinierend«, sagte Violet, die immer noch das Wasserrad betrachtete.
»Aber lassen Sie mich Ihnen auch den Garten zeigen«, sagte der Duke. »Ich hoffe, das interessiert Sie?«
»Meine Mutter war die Gärtnerin in der Familie und während ich die chemischen Extrakte der Blumen zu schätzen weiß, kenne ich mich mit der Gärtnerei kaum aus.« Violet nickte so freundlich sie konnte. Sie wollte nicht für eine der jungen Damen gehalten werden, die sich für nichts anderes als für Blumen interessierten.
»Aber Sie mögen doch ihren Duft und ihr Aussehen?«
»Oh, ja«, beteuerte Violet, die die Frage überraschte.
»Mehr braucht es nicht, sich an ihnen zu erfreuen.«
Violet blinzelte leicht verwundert, ließ sich jedoch von dem leutseligen Duke durch den Garten führen. Er zeigte ihr Hortensien, die ihr wie Uhrwerke aus delikaten Blütenblättern erschienen. Das sagte sie ihm auch, und der Duke grinste breit und entblößte eine Reihe gepflegter weißer Zähne.
»So habe ich das noch nie gesehen, doch ich stimme Ihnen zu. Die Natur kann auch sehr mathematisch sein, was sie nur noch schöner macht.«
»Wenn ich mich recht erinnere, folgt die Form der Blütenblätter einer exakten Rechenformel«, sagte Violet.
»Sagten Sie nicht, dass Sie sich mit der Gärtnerei nicht auskennen.«
»Mathematik ist keine Gärtnerei.«
»Da haben Sie recht. Sagen Sie, erhöht das Wissen, dass ihrem Wachstum eine Formel zu Grunde liegt, eigentlich noch Ihren Gefallen an ihnen?«
»Ja«, sagte Violet nur.
»Warum?«
»Weil mir das zeigt, dass Mutter Natur und ich etwas gemeinsam haben: eine Liebe für Zahlen.« Sie lachte, und der Duke stimmte im Rhythmus des Wassers, das über das Wasserrad floss, in ihr Lachen ein.
»Sie sind eine sehr kluge junge Dame. Wenn Ihr Bruder Ihnen ähnlich ist, bin ich mir sicher, dass er ein großartiger Schüler sein wird.«
»Wir sind Zwillinge und gleichen uns in fast jeder Beziehung.«
»Wunderbar«, sagte der Duke. »Ich freue mich darauf, ihn kennenzulernen. Und jetzt lassen Sie mich Ihnen die Löwenmäulchen zeigen.« Der Duke führte sie an seinem Arm durch den Garten. Zeitweise vergaß Violet fast, dass sie sich im Schatten der berühmten und verbotenen Hallen der Illyria-Akademie befand. Der Duke sprach nur selten von Wissenschaft, doch wenn sie auf das Thema zu sprechen kam, zeugten seine Antworten
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