Erfindung der Violet Adams
ihn Ernest nennen, aber er war ein Duke, und Matthias war nicht an Leute mit Titeln gewöhnt, deshalb nannte er ihn einfach Duke.
»Ich gucke noch«, rief Matthias zurück. Das Vakuum in den Gleisen zischte, die Bremsen waren gelöst, doch der Zug fuhr nicht. Warum? Aus dem Boden des Zugs lugte ein großer Aufziehschlüssel. Wurde der Zug von einer Sprungfeder betrieben? Aber was sollten dann die atmosphärischen Gleise und die Elektrizität? »Hier unten ist ein Schlüssel. Das sieht nach einem Aufziehmechanismus aus«, rief er.
Der Duke steckte seinen Kopf unter den Zug, um selbst nachzusehen, dann runzelte er die Stirn und kroch ganz unter den Zug neben Matthias. »Wozu braucht man den?«, fragte der Duke.
Matthias sehnte sich nach einer Zigarre. »Ich weiß es nicht.«
»Sollen wir ihn drehen?«
»Sie haben keine Angst, überfahren zu werden?«
»Es müsste schon ein sehr schwerwiegender Fehler im Entwurf sein, wenn das Drehen an einem Teil, das für den Zug wichtig zu sein scheint, dazu führt, dass der, der daran dreht, überfahren wird.«
»Das hängt davon ab, was für ein Mensch den Zug gebaut hat.«
»Mein Vater hat ihn gebaut.«
»Ah. Oh. Entschuldigung, Duke … Sir.«
»Kein Grund, sich zu entschuldigen. Helfen Sie mir lieber, ihn zu drehen.«
Zusammen drehten die beiden Männer den Schlüssel in eine Richtung. Über ihnen gab der Zug ein klickendes Geräusch von sich und erzitterte. Einen Moment war Matthias sich sicher, dass er die Gleise hinunterrollen und sie unter sich zu Staub zermahlen würde, und dass er Annie nie würde sagen können, dass er sie liebte. Doch dann blieb der Zug stehen.
»Nun«, sagte der Duke. Matthias kroch unter dem Zug hervor, suchte in seiner Tasche nach einer Zigarre, fand eine und zündete sie begierig an. Der Duke folgte ihm und wischte sich die Hände an der Hose ab. Sie trugen Arbeitskleidung, doch der Duke war trotzdem so fein gekleidet, dass Matthias es für eine Schande hielt, wenn er sich schmutzig machen würde.
»Was glauben Sie, ist passiert?«, fragte der Duke. Matthias zuckte mit den Schultern und inhalierte tief. Der Duke stieg in den Zug, und Matthias beobachtete, wie dieser aufleuchtete und ein leises Summen von sich gab, als der Duke ihn einschaltete. Dann folgte das laute Quietschen der Bremsen, die gelöst wurden, und die Gleise summten durch die Druckluft, die einen gewaltigen Windstoß und Staub durch den Bahnhof sandte, der Matthias´ Zigarre ausblies. Doch der Zug bewegte sich nicht.
»Matthias!«, rief der Duke aus dem Zug. Matthias stieg ein. »Was glauben Sie, was das ist?« Der Duke zeigte auf eine kleine runde Vertiefung im Bedienfeld, die Matthias zuvor nicht gesehen hatte. Er beugte sich hinunter und sah sie sich genauer an. In der Vertiefung schienen ein paar Zahnräder zu stecken, doch ihm war nicht klar, wozu sie da waren.
»Ich weiß es nicht«, sagte Matthias. »Es sieht so aus, als bräuchten Sie ein anderes Teil, das dort hineinpasst.«
»Einen Schlüssel vielleicht?«, fragte der Duke. Matthias dachte kurz nach, wünschte, seine Zigarre wäre noch an, und nickte. »Einen Schlüssel«, wiederholte der Duke. »Natürlich einen Schlüssel.«
»Der Schalter unter dem Zug muss das Bedienfeld geöffnet haben«, überlegte Matthias, dann ging er zu dem zweiten Bedienfeld am anderen Ende des Zugs. »Genau, hier ist auch eins. Und ich bin mir ziemlich sicher, dass sie vorher nicht da waren.«
»Ein Schalter, der unter dem Zug versteckt ist, um die Schlüssellöcher zu verbergen?«, fragte der Duke.
»Wenn man weiß, dass man den Zug eine ganze Weile nicht benutzen will, und auch nicht möchte, dass jemand anderer ihn benutzt … «
»Ja, ich verstehe. Nun, ich denke, dann sind wir fertig. Ich muss diesen Schlüssel finden.«
»Wahrscheinlich wird er nicht viel Ähnlichkeit mit einem Schlüssel haben«, sagte Matthias.
»Gewiss. Gehen wir nach oben, um zu baden und uns umzuziehen, ja? Ich bin gespannt zu sehen, ob Cecilys Hühner dieses Jahr bunte Eier gelegt haben.«
»Klar«, sagte Matthias, nickte und steckte sich die Zigarre zwischen die Lippen. Er hatte vergessen, dass sie nicht brannte. Hühner, die bunte Eier zu Ostern legten – er war wirklich an einem seltsamen Ort gelandet.
Cecilys Hühner hatten keine bunten Eier gelegt. Zumindest waren die Schalen nicht farbig. Doch als sie zufällig eins fallen ließ, stellte sich heraus, dass der Dotter ein atemberaubendes Indigo angenommen hatte. In jedem anschließend
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