Erfolg
zurechtgeflickt, liebevoll, wie ein guter Chirurg einen fast schon aufgegebenen Patienten. Und da kommen diese damischen Fremden und locken ihn mit immer höheren Angeboten. Jetzt also – über Nacht, binnen zwölf Stunden muß er sich entscheiden – soll auch der Schrein daran glauben, sein Lieblingsstück, das Kommoderl, das er nicht einmal dem Kunstmaler Lenbach abgelassen hat.
Cajetan Lechner atmete schwer in dem nun überheizten Raum. Sein Herz war nicht zuverlässig; denn es war ein großes, fettes Herz, erweitert durch Bierkonsum, geschwächt durch den Ärger um seine Kinder und durch die Sorge, ob er wohl noch hochkommen wird. Auch der Kropf war keineAnnehmlichkeit. Cajetan Lechner sitzt vornübergeneigt, Hände auf den Knien, schnauft, und plötzlich mit heftiger Bewegung reißt er den rehbraunen Überzieher an sich, stülpt ihn über, rasch, plump, geht aus dem warmen Zimmer vor in den kalten Laden.
Da stand der Schrein. Es war ein guter Schrein, wirklich schön, ein einmaliges Stück, das sich gewaschen hat. Er war, aber dies wußte der Altmöbelhändler Lechner nicht, ursprünglich von normannischen Künstlern gefertigt worden, unter sarazenischem Einfluß, in Sizilien. Dann hatte ihn der deutsche König Karl erworben, der vierte Karl von Luxemburg-Böhmen, für die Reliquien eines bestimmten Heiligen; denn dieser König liebte sehr Reliquien. Dann war das Kommoderl gestanden in einer böhmischen Kirche. Darin aufbewahrt lagen einige zerbrochene Knochen, auch eine eiserne Zange. Die Knochen hatten nach der Versicherung des Verkäufers, als noch Fleisch um sie war, einem mit Namen bezeichneten Kalenderheiligen gehört, dem sie die Heiden zerbrochen hatten um seines Glaubens willen; mit der eisernen Zange aber hatten sie ihm das Fleisch aus dem Körper gezwickt. Am Tag dieses Heiligen wurden seine Bleibsel dem Volke gezeigt. Wurden geküßt, verehrt, taten Wunder. Als der Aufstand der Hussiten losbrach, hatten die Priester das Heiligtum nach dem Westen geflüchtet. Die Zange wurde verloren, die Knochen verstreut. Der Reliquienschrein ging durch manche Hände. Es war ein kunstvoller Schrein, nicht aufdringlich. Edle Arbeit, Löwenfüße aus Bronze, eingelegtes Metall, matt glänzend. Im siebzehnten Jahrhundert erstand ihn, seine frühere Bestimmung nicht kennend, zusammen mit andern Stücken undeutlicher Herkunft ein Jude namens Mendel Hirsch. Als der Schrein für Kirchengut erkannt wurde, setzte man den Juden fest, folterte ihn, verbrannte ihn wegen Schändung christlicher Heiligtümer. Um seine Hinterlassenschaft stritten sich Kirchenbehörde und Kurfürst. Schließlich verblieb nach gütlicher Vereinbarung der Schrein der weltlichen Macht. Kurfürst Karl Theodor schenkteihn der Tänzerin Graziella, einer seiner Mätressen, die ihren Schmuck darin verwahrte. Als sie in Ungnade und Armut fiel, erstand der Hofkonditor Plaicheneder den Schrein. Seine Nachfahren veräußerten ihn. Von späteren Erben wurde sein Wert verkannt. Als Trödelware ging der Schrein zusammen mit anderer Hinterlassenschaft an Althändler, sogenannte Tandler . Auf der Auer Dult, einem Münchner Jahrmarkt, hatte ihn vor zweiundzwanzig Jahren der Altmöbelhändler Cajetan Lechner eräugt und erworben.
Da stand er also jetzt, der Schrein, in der Tandlerei des Cajetan Lechner am Unteranger. Alte Möbel, Leuchter, Madonnenbilder, Bauernschmuck, Hirschgranteln, Riegelhauben, mächtige Bilderrahmen, alte, bemalte Leinwand, riesige Reitstiefel waren ringsum gestapelt. Aber Cajetan Lechner sah von diesen Dingen nichts, seine wasserblauen Augen hingen hilflos, schmerzhaft, innig verliebt und dennoch schon entschlossen zum Verrat, an dem Schrein. Denn da war nichts zu machen. Dieser damische Holländer gab nicht nach, ums Verrecken nicht. Cajetan Lechner hatte einen so unverschämten Preis verlangt, daß er selber davor erschrak. Eine halbe Million Mark. Aber es hatte nichts genützt; der Holländer hatte dennoch ja gesagt. Vielleicht hatte er sich ausgerechnet, daß eine halbe Million Mark umgewechselt kaum mehr war als fünftausend holländische Gulden. Dem Cajetan Lechner, als er das Ja dieses hundshäuternen Holländers hörte, hatte es die Rede verschlagen. Er verschluckte sich an einer großen Gräte, wischte sich den Schweiß, gab, von dem ungeduldigen Holländer gedrängt, nichtssagende Dialektworte von sich. Bis ihm der Holländer unmißverständlich erklärte, entweder bringe morgen bis längstens zehn Uhr der Herr Lechner den
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