Erfolg
des Kirchenrechts mit blicklosen Augen und totenschädelig eingeschrumpftem Gesicht schlurfte zwischen den friedlich plätschernden Springbrunnen. Das war immer so gewesen, wird wohl noch eine Weile so bleiben und hatte etwas Beruhigendes. Aber mit heftiger Kritik heute sah Hessreiter die Studenten. Er schärfte seine schleierigen Augen, betrachtete aufmerksam die wichtig sich habenden jungen Menschen. Viele sahen sportlich aus, mit knappen Gürteln, forschen, praktischen Jacken aus derbem Stoff. Andere, sorgfältig angezogen, mit ruckartigen, soldatischen Bewegungen waren wohl Offiziere gewesen. Jetzt, da sie beim Film oder in der Industrie nicht unterkamen, suchten sie durch hastig lustloses Studium in die Justiz oder in die Staatsverwaltung hineinzuschlüpfen. Über gutgewachsenen, trainierten Körpern sah er viele skrupellose Gesichter, geeignet für gewisse technische, für mancherlei sportliche Leistungen, entschlossen zum Rekord. Aber bei aller Anspannung schienen ihm die Gesichter doch sonderbar schlaff, als seien sie Autoreifen, noch gespannt, aber schon angestochen, daß sogleich die Luft, entweichen wird.
Vor dem breiten Gebäude der staatlichen Bibliothek saßen in Stein gehauen friedlich in der Sonne vier Männer altgriechischen Gepräges mit nacktem Oberkörper. Er hatte in der Schule gelernt, wen sie darstellten. Heute wußte er es natürlichnicht mehr. Wenn man täglich an jemandem vorbeigeht, sollte man eigentlich wissen, wer es ist. Er wird sich nächstens einmal wieder erkundigen. Wie immer, es war eine gute Bibliothek. Zu schade eigentlich für die jungen Leute mit den Rekordköpfen. Sie waren nur zu einem kleinen Teil Münchner, diese zukünftigen Lehrer, Richter, Beamten. Früher hatte die schöne, behagliche Stadt die besten Köpfe des Reichs angezogen. Wie kam es, daß die jetzt fort waren, daß an ihrer Stelle alles, was faul und schlecht war im Reich und sich anderswo nicht halten konnte, magisch angezogen nach München flüchtete?
Jemand knurrte ihm einen Gruß entgegen, blieb stehen, sprach ihn an. Ein breiter Mann in graugrüner Joppe, kleine Augen in dem runden Schädel, der Dr. Matthäi, der Schriftsteller, den seine Darstellungen oberbayrischen Lebens weithin bekannt gemacht hatten. Er und Hessreiter waren nächtelang in der Tiroler Weinstube zusammengesessen, Hessreiter war bei Matthäi in Tegernsee, der bei ihm und Frau von Radolny in Luitpoldsbrunn zu Gast gewesen. Der vierschrötige, knurrige Mann in der Joppe und der phlegmatisch elegante in dem modisch grauen Anzug sagten sich du, sahen sich gerne. Dr. Lorenz Matthäi kam von der Galerie Novodny, wo heute die Bilder, die dem Dr. Krüger die Feindschaft der Gutgesinnten zugezogen hatten, zum erstenmal seit ihrer Entfernung aus der Staatsgalerie öffentlich ausgestellt waren. Auf die Ankündigung hin hatten einige von den Gutgesinnten heute nacht der Galerie Novodny die Fenster eingeschlagen. Dr. Matthäi freute sich über die Gaudi. Er fragte, ob Hessreiter sich die Schinken auch ansehen wolle. Er riß ein paar saftige Witze über die Bilder, sprach von einem Gedicht, das er zu machen beabsichtige gegen die Snobs, die sie jetzt andächtig begafften, erzählte eine geschmalzene Anekdote über den Andreas Greiderer, den Maler des beanstandeten »Crucifixus«. Aber Hessreiters Augen hingen nicht mit der üblichen Begeisterung an den dicken Lippen des Schriftstellers. Er hörte nur mit halbem Ohr auf die Anekdote, lachteetwas krampfig, wich den Fragen über seine Geschworenentätigkeit aus, verabschiedete sich bald. Der Dr. Matthäi schüttelte nachdenklich den klobigen, bezwickerten Kopf hinter ihm.
Herr Hessreiter ging dem Hofgarten zu. Er nahm heute sogar dem Dichter Matthäi, dem Klassiker in der Darstellung oberbayrischen Lebens, seine Worte krumm. Grantig wie er war, neigte er dazu, ganz allgemein den Gegnern des Dichters Lorenz Matthäi recht zu geben. War der Lorenz nicht einmal ein Rebell gewesen? Hatte er nicht saftige, bösartige Gedichte gemacht gegen die harte, ichsüchtige dumme, heuchlerische Verstocktheit des bayrisch klerikalen Systems? Es waren tapfere Verse gewesen, den Gegner mit photographischer Akribie treffend. Aber jetzt war er fett geworden, wir wurden wohl alle fett, sein Witz war verstumpft, seine Zähne fielen aus. Nein, es war nichts mehr Erfreuliches an dem Dr. Matthäi; Herr Hessreiter begriff nicht, warum er so herzlich mit ihm stand. Die kleinen, bösartigen Augen in dem zerhackten, fetten Schädel:
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