Erfolg
Mächtigen hineingeraten, stand das Herz still. Das konnte für einen verhältnismäßig kleinen Mann wie ihn nicht gut ausgehen. Er stand auf, stotterte mehrmals: »Entschuldigen die Herren«, ging unsicheren Schritts, ohne Bedürfnis, zur Toilette. Der Flaucher, bemüht, seinen wulstigen, viereckigen Schädel zu recken und den Klenk fest anzublicken, wiederholte: »Warum haben Sie mich im Ministerium gelassen?« Klenk neigte sich ein wenig, schaute schräg hinüber zu dem ergrimmten Mann, sagte: »Sehen Sie, Flaucher, das frage ich mich auch manchmal.« Flaucher sagte: »Es ist kein Spaß für mich, Klenk, mit Ihnen zusammen zu arbeiten.« Er schob unmutig den Dackel Waldmann zur Seite, der sich an seiner Hose rieb. Klenk, immer aufmerksam an seiner Pfeife herumklopfend, erwiderte: »Aber für mich, Flaucher, ist es ein Spaß.« Flaucher, die knotige Hand um das dicke Weinglas, besann sich auf eine Antwort, die den andern treffen könnte. Er sah seine Manschette, sie war steif gestärkt und abgeschabt, sie scheuerte ihn am Gelenk. Er dachte an die Ängste und das große, wüste Hin und Her dieser üblen Woche. Er dachte daran, wie er zuerst gehört hatte, daß eine Umbildung des Kabinetts bevorstehe und daß Klenk der Treiber sei. Wie er es anfangs nicht hatte glauben wollen. Wie er dann gewußt hatte, daß es stimmte. Wie er voll Angst und Wut war, weil ihm jetzt wieder davonschwimmen wird, was er mit soviel Schweiß und Demütigungen erworben hat. Wie dann sein Haß gegen Klenk ihn fast erstickte. Wie er erwog, zu demissionieren; denn Klenk wird ihn ja doch davonjagen, und es war besser, von selber zu gehen. Wie er es dann doch nicht über sich brachte, sondern wartete, bis der Stoß von Klenk kommen wird. Wie dann überraschenderweise gerade er geschont wurde. Wie er aufatmete. Wie dann aber seine Wut gegenKlenk, gerade weil der ihn schonte, immer wuchs. Sie hatten einander stets gefrotzelt, immer dabei schnitt der Klenk besser ab; aber niemals hatten sie sich ihre Meinung so dürr gesagt wie diesmal, und da Flaucher überzeugt war, im Recht zu sein, und da er doch für eine gute Sache kämpfte, mußte ihm auf diese große Frechheit des Klenk, auf dieses zynische Eingeständnis, daß er an der wichtigsten Stelle des Landes einen Mann beließ, den er nicht für fähig hielt, nur sich selber zum Spaß, auf diese mordsdicke Unverschämtheit hin mußte Gott ihm doch etwas einfallen lassen, was den andern klein machte. Er hielt also das dicke Weinglas, starrte auf die beschädigte Manschette, wie sie hart aus dem Stoff seines kleinbürgerlich geschnittenen Anzugs herauskam, dachte rasch, hilflos und angestrengt nach, was er sagen könnte. Es fiel ihm aber nichts Besonderes ein, vielmehr sagte er nur, nicht einmal bösartig, sondern eher traurig: »Sie sind eben ein unernster Mensch.«
Klenk war auf irgendeine salzlose Bosheit gefaßt gewesen. Seltsamerweise traf ihn diese nüchterne Konstatierung des dummen und verachteten Flaucher. Ja, dem Flaucher hätte nichts Besseres einfallen können. Klenk war Klenk und schrieb sich Klenk; er war Staatsminister für Justiz und Herr im Lande Bayern. Es konnte ihm furchtbar Wurst sein, was der Flaucher über ihn dachte, und was heißt das überhaupt: jemand ist ein unernster Mensch? Aber jedenfalls war ihm jetzt auch an der Plänkelei mit dem Flaucher die Laune verdorben. Der Dackel Waldmann gähnte. Der Wein im Glas schaute häßlich aus wie Harn. Klenk sah, daß jetzt für diesen Abend auch in der Tiroler Weinstube nichts mehr für ihn zu holen war.
Er brach auf. Ging einige Schritte weiter, verdrießlich, in das Kabarett des Pfaundler. Setzte sich dort zu Frau von Radolny und dem Baron Toni Riedler, dem Landsknechtführer. Vergaß allmählich bei dem besonders edlen Rotwein, den Pfaundler anfahren ließ, den Flaucher. Er schaute mit halbem Aug auf die Bühne, trank, stritt bärenhaft gutmütig mit Frau von Radolny herum, die gegen ihre Überzeugung einen Siegdes Fürstenenteignungsgesetzes für möglich erklärte. Er sprach sachlich mit Pfaundler, zog den Toni Riedler auf wegen der sportlichen Einkleidung seiner illegalen Landsknechtverbände.
Fragte, den Kopf nach der kleinen Bühne reckend, plötzlich aufmerksam, als hätte er unvermutet ein kapitales Stück Wild eräugt: »Was ist das für ein Mädchen?« Es war ein schmächtiges Geschöpf, das dort oben tanzte, mit schiefen, demütigen, lasterhaften Augen, mit gleitendem, sonderbar klebendem Schritt. »Sie ist heute
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