Erfolg
Atelierwohnung, die der Pröckl zur Zeit innehatte, mehr daheim als am Unteranger in ihrer und ihres Vaters Behausung. Renkte die Streitigkeiten ein mit seinem Wirt, mit den übrigen Mietern, mit Lieferanten. Bemühte sich, seine Räume halbwegs wohnlich zu machen, sie trotz seines Widerstands sauberzuhalten. Sorgte, wenn auch mit geringem Erfolg, um sein verwahrlostes Äußeres.
Kaspar Pröckl war heftig, verlangte viel und gab nichts. Konnte die Anni seine Tugend erfassen, die Besessenheit, mit der er an sich und seine Ideen glaubte? Das ingrimmige Drauflos seines Intellekts, die aus volkstümlich Primitivem und scharf Individuellem gemischte Besonderheit seiner Begabung? Jedenfalls hielt sie zu ihm. Der alte Lechner schimpfte, ihr Bruder Beni, sosehr er an Pröckl hing, machte ein unbehagliches Gesicht, ihre Kolleginnen frotzelten sie. Sie ließ nicht von ihrem unbequemen Freund. Sie war in einem großen Büro angestellt, sie führte den Haushalt ihres Vaters, ihr Tag war ausgefüllt: sie fand dennoch Zeit, die vielen Widerwärtigkeiten in Kaspars kleinem Leben zu erledigen.
Heute, an diesem Julitag, an dem das Thermometer auf dreiunddreißig Grad und der Berliner Dollarkurs auf 527 stieg, gegen Abend, fuhr sie mit Kaspar Pröckl an den Siemsee hinaus, um zu baden. Pröckl fuhr schnell, daß der heftige Windzug forthalf über die Hitze. Er war mürrisch, wortkarg gegen seine Begleiterin. Die letzten politischen Ereignisse fingen an, ihm den Aufenthalt in seiner Vaterstadt ernstlich zu verleiden. Der Reichsaußenminister war von Nationalisten hinterrücks erschossen worden; seine Ermordung hatte weite Schichten der Bevölkerung dermaßen empört, daß diePartei- und Gruppenführer, die zu der Beseitigung des Verhaßten aufgefordert hatten, sich zunächst duckten und das Maul hielten. Aber vielen, vor allem in Bayern, kam die Ausrottung des jüdischen Ministers sehr zupaß; sie forderten unzweideutig auf zur Beseitigung auch anderer Mißliebiger. Das offizielle Bayern, als das Reich dem Parlament Schutzmaßnahmen für die geltende Staatsform und die leitenden Männer der Republik vorschlug, wand sich, drückte sich herum. Wie das gemacht wurde, wie die Protestkundgebungen anläßlich der Ermordung sabotiert, die Gegenkundgebungen gefördert wurden, dazu die Schmutzbriefe derer, die den Mord priesen, alles das ekelte den jungen Ingenieur an. Er liebte die Stadt München, ihren Fluß, ihre Berge, ihre Luft, ihr Museum der Technik, ihre Galerien. Aber er beschloß, eine Übersiedlung nach Rußland jetzt ernsthaft vorzubereiten.
Ein großer Wagen kam seinem kleinen, allmählich recht schäbigen entgegen; man fuhr langsamer bei seinem Anblick. Die Anni machte ihn darauf aufmerksam, daß offenbar die Insassen des Wagens etwas von ihm wollten. Pröckl wurde noch finsterer, fuhr gleichmäßig schnell weiter, ohne aufzuschauen. Nach wenigen Minuten überholte ihn derselbe große Wagen, er hatte sichtlich sogleich kehrtgemacht. Querte ihn, so daß er halten mußte. Aus dem großen Wagen stieg ein stattlicher Mann in leichtem, weißem Leinenmantel, dicker, vorgewölbter, strahlend schwarzer Schnurrbart im fleischigen Gesicht, kam mit gezwungen lebhaftem Schritt auf Pröckl zu. Sagte mit heller, fetter Stimme, gewinnend mundartlich, man habe sich so lange nicht gesehen, da müsse man doch die Gelegenheit ergreifen. Bat, ihn vorzustellen, küßte der Anni die Hand.
Herr von Reindl sprach in deutlichen Worten ungefähr das aus, was der schweigsame Pröckl gedacht hatte. Menschenverächter, der er war, eingeborener Kenner Oberbayerns, wunderte er sich trotzdem über die verbockte Kleinlichkeit, mit der das offizielle München auf den Mord an dem Reichsaußenministerund seine Wirkung reagierte. Er sprach gemütlich zu seinem ehemaligen Ingenieur, vertraulich, legte ihm, die Anni schaute vergnügt zu, den Arm um die Schulter.
Sprach von Politik. Erörterte die schwierige Lage. Auf der einen Seite Frankreich, das mit der Konfiskation produktiver Pfänder droht, mit der Wegnahme von Bergwerken, Eisenbahnen, Forsten, Land, auf der andern Seite der Rapallo-Vertrag mit den Bolschewiken. Ein Wirtschaftsführer von einigem Verantwortungsgefühl hatte es da nicht leicht. Trotzdem er persönlich gerade in dieser Situation vielleicht nicht schlecht abschnitt. Er wird in nächster Zeit viel reisen müssen, nach New York, nach Paris. Bestimmt schon in der nächsten Woche nach Moskau. Er fragte den Pröckl, wie er sich die Auswirkung
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