Erfolg
zwinkernd. Hier lachte der windig aussehende Geschworene von Dellmaier ein wenig, verstummte indes gleich wieder auf einen vorwurfsvollen Blick seines Mitgeschworenen, des Briefträgers Cortesi, und einen erstaunt blöden des Gymnasiallehrers Feichtinger.
Ob der Dr. Krüger in der fraglichen Nacht bei Fräulein Haider gewesen sei, konnte die Hofrätin nach so langer Zeit nicht mehr angeben. Jedenfalls habe sie, daß der Herr einige Male zu unziemlichen Zeiten das Atelier betrat oder verließ, deutlich gesehen, beziehungsweise gehört.
Ähnlich sagten die andern Zeugen aus. Es war über das Fräulein viel getuschelt worden. Das Fräulein sei ein sonderbar schlampiges Geschöpf gewesen, schlecht und verwahrlost angezogen. Darum hat sie sich ja auch nackt gemalt, witzelte ein Journalist. Augen hatte sie oft zum Fürchten. Man konnte nicht in ein richtiges Gespräch mit ihr kommen. Die zahlreichen Kinder des Hauses hatten sie gern; trotzdem es ihr nicht gut ging, schenkte sie ihnen Früchte, Bonbons. Aber alles in allem war sie unbeliebt, besonders seitdem sie einmal eine struppige, verwahrloste Katze mitgebracht hatte, die dann eine andere Katze im Haus mit der Räude ansteckte. Daß sie zu dem Dr. Krüger intime Beziehungen habe, wurde allgemein angenommen. Die mickerigen, ausgetrockneten oder aufgeschwemmten Kleinbürgerfrauen, die das Haus bevölkerten, ärgerten sich vor allem, daß sie nicht einmal versucht hatte, diese Beziehungen zu verheimlichen.
Der Geschworene Feichtinger, Gymnasiallehrer von Beruf,schaute die Zeugen aus blassen Augen hinter seiner Stahlbrille aufmerksam und verständnislos an. Er mühte sich pflichtgemäß eifrig, den Aussagen zu folgen; doch ebenso langsam wie gründlich von Begriff, erkannte er nicht recht, worauf Fragen und Antworten hinauswollten. Insbesondere vermochte er nicht festzustellen, inwiefern die einzelnen Bekundungen mit der Grundmaterie in Zusammenhang standen. Das alles ging ihm zu schnell, die Methode war ihm zu modern hastig. Er kaute an den Nägeln, korrigierte manchmal mechanisch in Gedanken eine Satzkonstruktion, schaute aus blassen Augen auf die Münder der vielen Zeugen. Der Geschworene Cortesi, Briefträger seinem Stande nach, überlegte, wieviel Parteien das Haus Katharinenstraße enthielt. Es sah gar nicht groß aus, und doch wohnten so viele Menschen darin. Welcher von seinen Kollegen hatte doch jetzt die Bestellgänge in diesem untern Teil der Katharinenstraße? Er erinnerte sich, daß es einmal eine unangenehme Geschichte gegeben hatte wegen einer Zustellung in jenem Haus; die war von einer Tochter des Adressaten übernommen und dann doch nicht bestellt worden, und der Briefträger natürlich hatte die Scherereien gehabt.
Der Geschworene Cajetan Lechner hielt sich sehr unruhig, strich sich oft mit den Fingern den tief hinunterreichenden Schläfenbart, zog sein gewürfeltes Taschentuch, schneuzte sich, seufzte. Nicht nur wegen der Hitze. Die ganze Angelegenheit ging ihm nahe. Einesteils war er als guter Bürger geneigt, den Krüger ins Gefängnis zu schicken; denn Recht und Ordnung mußte sein. Andernteils hatte er Verständnis, ja ein gewisses Mitgefühl für den Schlawiner. Sein eigenes Geschäft grenzte an das Gebiet der Kunst; er verstand sich darauf, etwas ramponierte, kostbare Altmöbel so zu restaurieren, daß es die Freude der Kenner war, hatte viel mit Schlawinern zu tun, hatte mancherlei Einblick in ihr Leben. Auch hatte seine Tochter, die Anni, Beziehungen, ein Verhältnis, ein sogenanntes Gschpusi , mit einem Mann, den er wohl oder übel als Schlawiner ansprechen mußte. Er grantelte deshalb Tag fürTag mit der Anni herum, zuweilen recht wüst; aber im Grunde war er tolerant. Er hatte seine Erfahrungen, der Cajetan Lechner. Oft, auf der Dult, beim Jahrmarkt, wenn er die Trödlerbuden absuchte, schaute ein Möbelstück durchaus wohlbehalten her, als könnte es noch seine zwanzig, dreißig Jahre überstehen. Untersuchte man es dann ernsthaft, erwies es sich als kaputt, wurmstichig, und es war ein Wunder und Schwindel, daß es überhaupt noch zusammenhielt. Das Leben war halt kompliziert; auch für einen Großkopfigen wie den Dr. Krüger war es nicht immer einfach, besonders wenn einer gewissermaßen von Natur ein Schlawiner war. Der Geschworene Lechner schaute aus seinen wässerig blauen Augen den Angeklagten Krüger an, strich sich durch den Schläfenbart, schnaufte, schneuzte sich in das gewürfelte Taschentuch, seufzte.
Der Geschworene Paul
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