Erfolg
Hessreiter folgte den Bekundungen über das tote Mädchen mit einem unmotiviert leidenschaftlichen Interesse. Den kleinen Mund hielt er leicht offen, so daß sein fleischiges Gesicht ein wenig töricht aussah.
Neben ihm der Hoflieferant Dirmoser schaute ihn manchmal von der Seite an. Ihm war sein blödes Geschworenenamt eine lästige Formsache, er hätte sich gern davon gedrückt. Aber er fürchtete, das könnte seinem bürgerlichen und geschäftlichen Ruf schaden, so etwa wie wenn er der Beerdigung eines großen Kunden ferngeblieben wäre. Er litt unter der Hitze, seine Gedanken glitten ab, glücklicherweise hatte er sich für solche Gelegenheiten ein offizielles, beteiligtes Gesicht eingeübt, das er ohne Mühe durch längere Zeit festhalten konnte. Ekelhaft war, daß sich die erste Verkäuferin der Filiale seines Handschuhgeschäftes in der Theresienstraße krank gemeldet hatte; die dumme Gans hatte wahrscheinlich wieder zuviel Gefrorenes geschleckt. Jetzt mußte seine Frau die Leitung der beiden Geschäfte ganz allein besorgen. Das traf sich besonders blöd, weil der zweijährige Pepi wieder kränkelte und auf das neue Mädchen kein Verlaß war. Dies überdenkend, betrachtete er mechanisch die Zwirnhandschuhe einerZeugin, sie waren badisches Erzeugnis, er hätte von dieser Fabrik einen längeren Zahlungstermin verlangen sollen.
Zuverlässig bekundet wurde von den Insassen des Hauses Katharinenstraße 94 nur, daß Dr. Krüger einige Male nachts in dem Atelier des Fräuleins gewesen war. Aber wann, wie, ob allein, ob mit mehreren, wagte mit Sicherheit keiner der Zeugen auszusagen.
Der Angeklagte Krüger blieb bei seiner ersten bestimmten Erklärung. Er sei mit Anna Elisabeth Haider häufig und gern zusammen gewesen, oft in ihrer, oft in seiner Wohnung. In der fraglichen Nacht habe er sie von dem Fest nach Hause begleitet, sei aber dann im gleichen Wagen weitergefahren. Geschlechtlichen Charakter hätten ihre Beziehungen nicht gehabt. Seine Aussage in dem Disziplinarverfahren gegen das tote Mädchen sei Punkt für Punkt wahr, er halte sie aufrecht.
Der Angeklagte sah heute trotz der langen Untersuchungshaft frisch und spannkräftig aus. Sein massiger Kopf mit den starken Kiefern, der fleischigen, wuchtigen Nase, dem geschwungenen Mund war wohl etwas gebleicht und schärfer von Zügen; aber er folgte allen Windungen des Prozesses mit ganzer Aufmerksamkeit, es kostete ihn offenbar Mühe, den Weisungen seines Verteidigers gemäß ruhig zu bleiben und nicht mit Heftigkeit dazwischenzufegen. Für die Frauen des Kleinbürgerhauses hatte er rasche Augen voll verächtlicher Gleichgültigkeit. Nur einmal, während der Aussage der Hofrätin Beradt, war er im Begriff, aufzuspringen, und stieß ein so heftiges Gesicht gegen sie zu, daß die nervöse Dame mit einem kleinen Aufschrei zurückfuhr.
Vielleicht hätte sich, wäre der Mann Krüger den Schikanen der Hofrätin gegen das tote Mädchen einmal mit soviel Anteilnahme begegnet statt mit eben jener verächtlichen Gleichgültigkeit, alles freundlicher gelöst. Sicher ist, daß dem Martin Krüger seine heftige Gebärde zwar einen milden Verweis von seiten des Vorsitzenden eintrug, daß aber die Frauen nicht mehr mit der gleichen Gehässigkeit auf ihn schauten, mit der sie seinen blicklosen Hochmut erwidert hatten.
7
Der Mann in Zelle 134
Am Abend dieses Tages saß der Mann Krüger allein in seiner Zelle. Die Zelle 134 war von mäßigem Umfang, kahl, aber zu sonderlichen Beanstandungen keinen Anlaß gebend. Es war acht Minuten vor neun Uhr. Um neun Uhr wird das Licht ausgehen, und die Gedanken werden dumpfer und beklemmender, wenn das Licht ausgegangen ist.
Während der ersten Tage seiner Haft hatte Martin Krüger sich verzweifelt gewehrt. Er hatte gebrüllt, sein massiges Gesicht war nur mehr ein tobender Mund gewesen unter irren Augen. Die haarigen Hände zu Fäusten geballt, hatte er auf die Tür seiner Zelle eingehauen.
Der Rechtsanwalt Dr. Geyer, als seine kühle Haltung den Rasenden schließlich besänftigt hatte, erklärte dem Ermatteten, er habe wenig Verständnis für derartige Wutausbrüche. Er selbst, Geyer, habe in scharfer Zucht gelernt, an sich zu halten. Das sei nicht leicht, wenn man das ganze Maß an Unrecht und Heuchelei, wie es in diesem Staat geübt werde, kennenlerne wie er. Was an ihm, dem Manne Krüger, geschehe, geschehe an Tausenden, Schlimmeres geschehe an Tausenden, und Schreien sei bestimmt dagegen nicht das rechte Mittel. Während er so mit
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