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Erfolg

Erfolg

Titel: Erfolg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lion Feuchtwanger
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seiner scharfen, nervösen Stimme auf den stumpf Dasitzenden einpeitschte, ihn mit seinen blauen, dringlichen, dickbebrillten Augen bedrohend, hatte der Mann Krüger sich wieder eingefangen. Ja, es war merkwürdig, wie klagelos der Verwöhnte von jetzt an die Entbehrungen der Haft ertrug. Gewöhnt an vielerlei Bequemlichkeit, an sein genau temperiertes Bad, verstimmt durch die geringfügigste Entstellung seiner Räume, duldete er jetzt ohne Wehleidigkeit das kahle Leben der Zelle.
    War er allein, so fiel der Mann Krüger häufig unvermittelt aus spöttischer Überlegenheit, in der er diese Haft als vorübergehende unangenehme Episode empfand, in Raserei undDepression. An den beiden Prozeßtagen hatte er sich oben gehalten durch die Vorstellung, die ganze Angelegenheit sei nicht ernst zu nehmen. Man wird es nicht wagen, jemanden, der unter den deutschen Kunstwissenschaftlern auf erhöhtem Platze stand wie er, auf eine so läppische Aussage hin zu verurteilen. Er stammte aus dem Badischen, er konnte sich schwer einfühlen in die dumpfe, breiige Beharrlichkeit, mit der die Bewohner der bayrischen Hochebene den einmal Gehaßten zur Strecke bringen. Er konnte sich nicht vorstellen, wie ein eifriger Staatsanwalt aus dem schmierigen Gerede der Kleinbürgerinnen juristisch faßbare Tatbestände konstruieren, wie der biedere Hoflieferant Dirmoser, der wackere Briefträger Cortesi aus so unsauberem Gestammel für ihn Gefängnismauern bauen sollten.
    Allein heute während der Vernehmung der Hofrätin Beradt, als diese jämmerliche Affäre des Mädchens Anna Elisabeth Haider so widerwärtige Färbung angenommen hatte, war ihm mit einem Ruck ungeheuer real die Bedrohlichkeit seiner Lage unter diesen bayrischen Menschen aufgegangen. Jetzt auf einmal verstand er den ganzen angespannten Ernst des Dr. Geyer. Wohl hatte sich Martin Krüger mit rascher Phantasie Bilder des Martyriums vorgespielt: wie das sein wird, Verzicht auf die angenehmen Gewohnheiten seines Alltags, Verzicht auf vernünftige Tätigkeit, Kunst, Gespräch mit musischen Menschen, Verzicht auf Frauen, geschmackvoll zusammengestellte Mahlzeiten, morgendlich willkommenes Bad. Mit sentimentaler Freude am Kontrast hatte er sich das zurechtgemalt. Draußen Juni, schon streckte man sich am Meer auf besonnten Sand, flirtete in Booten, jagte auf weißen Landstraßen in bestaubten Wagen, hockte vor Schutzhütten, die Glieder wohlig ermüdet, Wein trinkend, zwischen Berggipfeln; während sein Leben so sein wird: kahle, graue Wände, wenige Quadratmeter zu seinen Füßen, morgens braunes Wasser im Blechnapf, tagsüber den Anordnungen mürrischer, schlechtriechender Aufseher unterworfen, eine halbe Stunde Spaziergang im Hof, dann wieder kahle, graue Wandbis neun Uhr: Licht aus. Und so das Jahr hindurch und weitere zweiundfünfzig Wochen und vielleicht weitere endlose dreihundertfünfundsechzig Tage. Aber immer, selbst während seiner Tobsuchtsanfälle, war solche Vorstellung Spiel geblieben. Wie sie an diesem Vormittag zum erstenmal in nicht zu vertreibender Wirklichkeit vor ihm stand, da wurde ihm die Kehle schlaff, alle Kraft rann aus seinen Gliedern, ein hohles, übles Gefühl kroch ihm den Magen hinauf.
    Es waren noch vier und eine halbe Minute, bis das Licht ausging. Er hatte Angst vor der vollen Stunde. Er saß auf der heruntergeklappten Bettpritsche, im Schlafanzug, um ihn Tisch, Stuhl, Wasserkrug, Emailnapf fürs Essen, weißer Kübel für die Notdurft. Die Hände auf den Knien, der Unterkiefer leicht herabgefallen, sah er durchaus nicht mehr gefährlich aus.
    Er hatte das Mädchen Anna Elisabeth Haider nicht gesehen, nachdem sie sich auf so üble Weise getötet hatte. Er war damals in Spanien gewesen, um sein Buch über die spanische Malerei zu Ende zu schreiben, und war eigentlich froh, daß er ihre letzte, schlechte Zeit nicht mehr mitgemacht hatte. Es war sonderbar, daß ein Mensch sich umbrachte, ihm war das unverständlich, er hatte es abgelehnt, sich damit zu befassen. Jetzt, am vierten Juni, drei Minuten vor neun Uhr, ließ es sich nicht ablehnen. Die Vorstellung des toten Mädchens Anna Elisabeth Haider ging nicht aus der Zelle 134, trotzdem das Licht noch brannte und trotzdem er genau wußte, daß er seine Gedanken für Wichtigeres nötig hatte, nämlich zur Abwehr dieses maßlos albernen Prozesses.
    Er hatte nicht gelogen. Er hatte das Mädchen an jenem Abend wirklich nicht in ihre Wohnung hinaufgebracht, hatte auch niemals mit ihr geschlafen. Unter den

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