Erfolg
scharfen, spürenden, blauen Augen Dr. Geyers hatte er sich die Gründe klargemacht. Es war eigentlich ein Zufall, daß er nicht mit ihr geschlafen hatte wie mit anderen Frauen. Anfänglich hatte es sich aus irgendwelchen äußeren Ursachen nicht gefügt. Dann hatte sie jenes Bild gemalt, und es war ihm, warum, wußte ernicht genau, der Anreiz vergangen. Das Bild war zu sehr da, sagte er zu Dr. Geyer.
Er sah sie vor sich, wie sie die Treppe hinunterhüpfte – sie hüpfte viel zuviel für ihre frauenhafte Figur –, das Antlitz breit und rund, ein Bauernmädelgesicht eigentlich, mit dickem, blondem, nicht einwandfrei gepflegtem Haar, die Augen standen grau, mit einem verwirrenden Ausdruck von Vertiefung und Abwesenheit in dem sonst naiven Gesicht. Der Umgang mit ihr war nicht einfach, sie war verzweifelt weltfremd, sehr gleichgültig gegen alles Äußerliche, solange es ihr nicht an den Hals ging, überaus schlampig, kompromittierend verwahrlost angezogen. Dazu hatte sie Anfälle von Quartalssinnlichkeit, die ihm in ihrer Wildheit sehr ungelegen kamen. Aber sein sicherer musischer Instinkt wurde trotz dieser ihm verhaßten Unbequemlichkeiten angezogen von ihrem durch eine undeutliche Zeit schwierig, aber unablenkbar richtig vortastenden Kunstwillen. Denn er hielt die dumpfe, unbequeme Frau, die so recht das war, was die Stadt unter einer Schlawinerin verstand, und die durch schlecht und unregelmäßig versehenen Zeichenunterricht in einer staatlichen Schule dürftig ihr Leben bestritt, er hielt diese Frau für einen der seltenen geborenen Künstler der Epoche. Sie produzierte mühselig, mit Stockungen und Zusammenbrüchen, sie vernichtete immer wieder, was sie gemacht hatte, ihre Ziele, ihre Methoden waren schwer zugänglich; aber er spürte das Unbeirrbare darin, das Einmalige, Gewachsene. Vielleicht war es gerade ihre Künstlerschaft, die ihn hemmte, sie unbedenklich als Frau zu nehmen, wie er viele andere genommen hatte. Sie litt darunter, holte sich infolge der sonderbaren Passivität seiner Beziehungen zu ihr ziemlich wahllos Männer zusammen. Bis dann, veranlaßt durch Versäumnisse in ihrem Schuldienst, aber vor allem durch den von ihm bewirkten Ankauf ihres Bildes für die staatlichen Galerien, das Disziplinarverfahren gegen sie eingeleitet wurde, in dessen Verlauf er jenen fatalen, noch dazu überflüssigen Eid geleistet hatte.
Denn selbstverständlich war sie, was jeder in diesem Lande voraussehen mußte, trotz seiner günstigen Aussage diszipliniert worden. Er war nach Spanien gegangen, den Ausgang des Verfahrens nicht abwartend, die Folgen nicht verhütend, die er doch bei etwas mehr praktischer Menschenkenntnis ebenfalls hätte voraussehen müssen. Es war schließlich begreiflich, daß er, wenn er sich einmal auf einige Zeit aus seinem deutschen Betrieb frei machte, Ruhe haben, sich seinem Werk widmen wollte und daß er sich seine Post nicht nachkommen ließ. Es war aber auch begreiflich, daß sie, nachdem sie ihm mehrmals vergeblich geschrieben hatte, nicht mehr aus noch ein wissend, sich mit Leuchtgas vergiftete. Als er zurückkam, war sie tot und Asche. Frau Hofrat Beradt, mit der er wegen Regelung des schriftlichen und künstlerischen Nachlasses eine widerwillige Zusammenkunft hatte – von Angehörigen war nur eine Schwester da mit wenig Anteilnahme –, hatte sich sehr feindselig gezeigt. Schriftliches war von den Gerichtsbehörden beschlagnahmt worden. Einige Zeichnungen waren noch da; ihre Bilder hatte die Tote offenbar vernichtet. Ein Wächter der Staatsgalerie berichtete, Fräulein Haider sei am Tag vor ihrem Tode noch in der Galerie vor ihrem Bilde gewesen, sie sei durch ihr verstörtes Wesen aufgefallen und habe ihm schließlich, als er, veranlaßt durch ihr damisches Geschau, sich mit ihr in ein Gespräch einlassen wollte, ein eigentlich unmotiviertes Trinkgeld von zwei Mark gegeben. Was Frau Hofrat Beradt außerordentlich mißbilligte. Denn es waren noch Schulden zu begleichen. Die Tote war Miete schuldig geblieben, auch hatte sie vieles in den von ihr benützten Räumen ruiniert, so daß Reparaturkosten zu bezahlen waren, abgesehen von der vor allem durch ihr Ende hochgelaufenen Gasrechnung.
Es war jetzt noch eine halbe Minute vor neun. Dr. Krüger gelang es nicht, sich das Mädchen wirklich vor Augen zu stellen. Er bemühte sich fast ängstlich, sie zu denken, wie sie rauchend und in schlampiger Haltung in ihrer Diwanecke hockte, oder wie sie mit angestrengtem Gesicht ziemlich
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