Erfolg
wie er sich und seinen Lesern vorredete.
Hielt sich Matthäi sanftmütig zurück, so wurde im Gegensatz zu seinen gesunden Tagen der Pfisterer aggressiv. Er verbitte sich die Kamillenteeatmosphäre, polterte er mit etwas brüchiger Stimme. Er lasse sich nicht in Watte legen. Er hatteden Vormittag über geschrieben, diktiert. Er arbeitete an seinen Erinnerungen, betitelt »Ein sonniger Lebenslauf«. War keineswegs geneigt, den Tod sentimental aufzufassen. Tod und Geburt lagen nebeneinander, der Tod war unter vielen Realitäten eine nicht übermäßig bemerkenswerte. Er erzählte Schnurren von sterbenden bayrischen Bauern, die er miterlebt oder von denen er gehört hatte. Da war zum Beispiel einer, der immerfort niesen mußte. Das war peinlich, doch seine Umgebung hatte sich daran gewöhnt. Seine acht Nachkömmlinge pflegten mitzuzählen, wie oft der Vater wieder niesen mußte, 42-, 44-, 45mal. Beim Sterben dieses Mannes war Pfisterer dabei. Auch auf dem Totenbette hatte den Bauern solch ein Niesanfall gepackt. Ringsum stand die Familie. Sie zählten wie gewohnt; diesmal konnte der Vater gar nicht aufhören, sie mußten schallend lachen. Es war auch wirklich sehr komisch gewesen, Pfisterer hatte mitlachen müssen. Erst, als er das zweiundachtzigstemal geniest hatte, unter großer Heiterkeit seiner Umgebung, starb der Bauer.
Der Dr. Matthäi, als er den andern so kräftig daherreden sah, tat sich keinen Zwang mehr an, legte die widerwärtige, feierliche Sanftmut ab. Bald wieder waren die Männer in dem gewohnten klobigen Geschimpfe. Der Dr. Matthäi meinte, der »Sonnige Lebenslauf« werde vermutlich ebensolcher Dreck werden wie Pfisterers übriger lackierter Mist. Oder ob es der Pfisterer vielleicht als besonders sonnig ansehe, daß er den Krüger nicht freigekriegt habe und somit abkratzen müsse, ohne die Johanna Krain gehabt zu haben? Der Kranke antwortete saftig, und die eben wieder eintretende, betuliche Frau Pfisterer war voll Hoffnung auf die völlige Wiederherstellung ihres Mannes. Der Dr. Matthäi kaum gegangen, sank aber Pfisterer wieder in sich zusammen, sah erschöpft aus und wenig nach »Sonnigem Lebenslauf«.
Dr. Matthäi hingegen, als er den Kollegen verlassen hatte, fühlte sich angenehm aufgefrischt. Es tat gut, sich einmal wieder auszuschleimen, sich das Herz freizuschimpfen. Zudem, wer ging da auf der anderen Straßenseite? Richtig, soschnell und schmal war bloß die Insarowa. Er überquerte die Straße, hastig, auffällig, strebte ihr unbeholfen nach. Sie sprach zu ihm spitz, hurtig wie stets, daß er ihr nicht beikommen konnte. Sie hatte Eile, sie war auf dem Weg zur Probe; vorher noch wollte sie bei dem Minister Klenk vorbeischauen, der, wie man hörte, ernstlich krank war. Dr. Matthäi überlegte, ob er sie begleiten solle; ehe er zum Entschluß kam, hatte sie sich verabschiedet. Eine Mordswut stieg in ihm hoch gegen den Hundsknochen, den Klenk. Es war ein Skandal, daß der bayrische Justizminister ein Verhältnis mit einer Tänzerin hatte, mit einer Bolschewikin vermutlich noch dazu, daß er seine Mätresse offenkundig am hellichten Tage in sein Haus kommen ließ. Man mußte den Klenk einmal beim Ohrwaschel nehmen. Überhaupt ist der Klenk nicht der rechte. Es weht unter ihm ein viel zu sanfter Wind. Er ist zu lax dem Reich gegenüber, seine Genußsucht macht ihn flau.
Der Klenk muß fort.
Er wird einmal mit dem Bichler darüber reden, auch mit seinen Freunden im Herrenklub. In der nächsten Nummer der Matthäischen Zeitschrift soll der Klenk ein Gedicht zu lesen kriegen, das sich gewaschen hat.
Die Insarowa mittlerweile ging zu Klenk. Sie hatte sich diesmal mit der Bemalung ihres Gesichts, wie die Sitte der Zeit sie forderte, besonders sorgfältig befaßt. Sie schminkte sich sonst dicker; aber sie wußte, Klenk liebte das nicht. Sie ging vor sich hin, lächelnd, fast tänzelnd, so in sich selber, daß die Leute sich nach ihr umdrehten, im Glauben, sie spinne. Sie war aber nur sehr beschwingt und mit sich zufrieden; denn wie sie den Klenk endgültig hinübergezogen hatte, das hatte sie verdammt gescheit gemacht.
Sie hatte ihn lange zappeln lassen. Hatte dann, als er ihr einen bestimmten Abend abschlug, an dem sie ihn endlich kommen lassen wollte, gerade auf diesem Abend bestanden. Eigentlich lag ihr nicht viel an Klenk; aber es war doch ein netter, vergnügter Abend geworden. Der Klenk, war er einmalin Fahrt, war schon wer. Jetzt wußte sie auch, warum er ihr jenen Abend abgeschlagen
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