Erfolg
marschieren.« – »Ja«, sagte der Kranke und richtete sich halb hoch, »dann lasse ich marschieren.« – »Sie sind wirklich krank«, sagte Toni Riedler.
Der Minister, als er allein war, haßte die Insarowa. Er zweifelte nicht, daß der Riedler den Major über die Grenze schicken werde. Aber immerhin, er hätte ganz anders auftreten, hätte dem Kerl ganz anders auf die Nase hauen müssen. An allem war das Weibsbild schuld. Mit ihrem Geschleich und ihren damischen, schiefen Augen. Später, er lag wie in Watte und warmen Wolken vor Schwäche, dachte er wieder freundlich an seine Frau, die dürre, kümmerliche Geiß, an sein Gut und noch freundlicher an seinen Sohn Simon, den Bams. Auch daß es eigentlich besser wäre, er ginge nach diesem seinem Gut Berchtoldszell, er ginge auf die Jagd, läse in Büchern und ließe die Justiz und die Insarowa hier in München in ihrem eigenen Dreck verstinken und verrecken.
Toni Riedler indes fuhr in Pfaundlers Restaurant zum Mittagessen. Er sagte sich: Der Klenk muß weg. Er sagte es in München, und er sagte es in Kolberhof. Er sagte es dem Kutzner, er sagte es im Herrenklub. Er schrieb es dem Geheimrat Bichler nach Paris.
Auch der Hartl sagte: Der Klenk muß weg. Auch der Flaucher sagte es und viele andere.
14
Johanna Krain zieht sich für ein Fest an
In der Nacht, bevor sie sechsundzwanzig Jahre alt wurde, schlief Johanna Krain schlecht. Sie schloß die Jalousien des geöffneten Fensters, vielleicht war es der Mond, der sie störte. Aber es war nicht der Mond, auch jetzt konnte sie nicht schlafen. Sie dachte an Menschen, die sie kannte und was die wohl getrieben hätten, während sie in Paris Tennis spielte und an die See fuhr. Sie dachte an den trockenen, lustigen, scharfen Tüverlin, dessen Revue jetzt probiert wurde. Es wäre schön, wenn er hier wäre und ihr davon erzählte. Er ärgerte sie oft und bitter, aber er hatte in vielen Dingen recht. Sie dachte an ihre alberne Mutter, mit kleinem Widerwillen. Sie dachte an den Mann Krüger, von dem sie wenig wußte; denn seine blassen Briefe versteckten ihn mehr, als daß sie ihn enthüllten. An den fahrigen Rechtsanwalt Dr. Geyer dachte sie mit seinen scharfen, zupackenden Augen. Hier wollten ihre Gedanken zu einem andern abgleiten, aber sie riß sie zurück, kapselte sie ab. Zwang sich fort von dem Bild des Windigen, hackte sich, da ihr der Name Kaspar Pröckl ins Hirn traf, fest an sein Bild. Deutete an ihm herum. Er hatte ihr erzählt, wie er Marxist geworden war. Nicht Mitgefühl mit den Unterdrückten oder derlei Sentimentalitäten hatten ihn hingeführt, bewahre. Vielmehr war er, bevor er Marxist war, herumgetrieben, hin, her, hatte gearbeitet und gearbeitet und keinen Grund gefunden, auf dem er hätte fußen können. Hatte keinen Blick auf die Welt freibekommen. Geschichte, Gesellschaftsordnung, alle Dinge ringsum, suchte man sie nach den bisherigen Kategorien zu erklären, waren sinnlos geblieben. In dem Augenblick, als er die Prinzipien des wissenschaftlichen Marxismus daranwandte, ordneten sie sich wie von selbst; Ursachen zeigten sich, Wirkungen; Räder griffen ineinander. Es war, als habe er bisher ein Auto mit Zügel und Peitsche lenken wollen und es nicht von der Stellebringen können, jetzt aber kenne er die Mechanik. Sie dachte an den besessenen Eifer, mit dem er ihr das auseinandersetzte, dazu an sein ruppiges, ungelenkes Gehabe, sie mußte lächeln. Sie schaltete, vorläufig konnte sie doch nicht schlafen, das Licht ein, holte sich ein Buch. In diesen letzten, mißmutigen Wochen hatte sie oft versucht, zu lesen. Aber die Romane der Epoche sagten ihr nichts. Sie hatten das Weltbild, die Konventionen der bürgerlichen Gesellschaft zur Voraussetzung und machten ungeheuer viel Gewese, bis einer mit seinen Geschäften Erfolg oder Mißerfolg hatte oder bis einer mit einer schlief. Jetzt hatte sie sich Bücher kommen lassen über sozialistische Fragen; Herr Hessreiter hatte freundlich dazu gelächelt. Man hatte ihr gesagt, begreife sie die Lehre vorn Mehrwert, von der Akkumulation des Kapitals und die Grundsätze der materialistischen Geschichtsauffassung, dann werde sie die wahren Gesetze erkennen, nach denen die Menschen leben. Die Geschicke der Ruhrarbeiter und des Dalai Lama, der bretonischen Fischer, des letzten deutschen Kaisers und der Kulis in Kanton seien bestimmt durch die gleichen, deutlich erkennbaren ökonomischen Notwendigkeiten. »Begreifen Sie diese Gesetze«, hatte ihr Kaspar Pröckl erklärt,
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