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Erfolg

Erfolg

Titel: Erfolg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lion Feuchtwanger
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Flaucher ans Ruder kam, hatte der trübe Idiot sich mit Kraft darauf geworfen, das Bild aus der Galerie hinauszuschieben. Man hatte ihm, dem Krüger, nahegelegt, einen dicken Urlaub zu nehmen. Der war ihm willkommen; denn er schuf ihm die Möglichkeit, sein Buch über die Spanier gründlich durchzuarbeiten. Als er zurückkam, war das Bild »Josef und seine Brüder oder Gerechtigkeit« fort, vertauscht gegen einige brave Gemälde, die unleugbar ausgezeichnet zur Komplettierung dienten. Er hatte das gewußt, ehe er den Urlaub antrat. Es war kein Wort darüber verlautet, aber er hatte gewußt, daß er einen Kuhhandel einging, daß man ihm den Urlaub gewährte als Gegenleistung für seine passive Zustimmung zu dem übeln Verrat an dem Maler Landholzer und seinem Werk.
    Wie er sich das mit dürren Worten sagte, jetzt, in der Zelle 134, bäumte er hoch, schnaubte durch die Nase. Es waren viele Dinge an ihn herangekommen, täglich. Vieles, was man hätte tun sollen, hatte er nicht getan. Man war nicht der liebe Gott, man war ein Mensch mit zwei Händen, einem Herzen und einem Hirn, und es genügte, wenn man einiges tat von dem, was zu tun war. »Einiges«, knurrte er vor sich hin, »einiges, nicht alles.« Aber auch der Schall der Worte vertrieb nicht die Gewißheit, daß sie falsch waren. Die Vorstellung seines jungen Freundes stieg vor ihm auf, des Kaspar Pröckl, das unrasierte, hagere Gesicht mit den tiefliegenden Augen und den starken Jochbogen. Er fühlte sich hilflos, legte sich auf die andere Seite.
    Aber was zum Teufel hatte die Sache »Josef und seine Brüder« mit seinem verdammten Pech zu tun? Er war verflucht nervös, daß er schon mythologische Begriffe wie Schuld, Sühne, Vorsehung bemühte. Hätte vielleicht ein anderer in seiner Stellung es besser machen können? Nein, ein anderervielleicht nicht: aber er selber. Er hätte weitergehen, hätte bis zu seinen Grenzen gehen müssen. Er war ein schlechter Mann, er war ein fauler Mann. Er war nicht bis zu seinen Grenzen gegangen. Wer nicht bis zu seinen Grenzen geht, ist ein fauler Mann.
    Die Schritte des Beamten kamen gleichmäßig von dem Gang vor seiner Tür. Neun Schritte konnte man ganz deutlich hören, dann nochmals neun leiser, dann verklangen sie.
    Ja, er war ein fauler Mann, ein schlechter Mann, zu Recht vor Gericht gefordert, wenn auch der Hoflieferant Dirmoser und der Altmöbelhändler Lechner nicht ahnten, warum. Er hatte doch sehr genau gewußt, wie es um »Josef und seine Brüder« bestellt war. Es war wahrscheinlich kein rundes, vollgültiges Werk. Aber er hatte die Gelegenheit gehabt, einen Maler, wie er vielleicht einer Generation nur einmal geschenkt wird, ins Licht zu heben, er hatte diese Gelegenheit erkannt und sie, aus Bequemlichkeit, versäumt.
    Hatte er nicht einmal halb im Spiel – was tat er nicht halb im Spiel? – eine Stufenleiter aufgestellt der Werte in seinem Leben? Ja, einmal, an einem Regentag im bayrischen Vorgebirg, mit Johanna in einem friedlichen Schloßpark spazierend, hatte er ihr diese Skala auseinandergesetzt. Er erinnerte sich noch ganz genau. Der gestutzte Park jenes Königsschlosses war angefüllt mit mythologischen Figuren im Geschmack von Versailles. Er hatte sich auf eines dieser hölzernen Tiere gesetzt, im Reitsitz. Denn es war nicht die Jahreszeit, es war gegen Abend, und sie waren die einzigen Fremden auf der Insel. Und so, auf dem hölzernen Rücken des mythologischen Tiers, hatte er ihr seine Stufenleiter der Werte dieses Daseins entwickelt. Zuerst, ganz unten, war der Komfort, die vielen Annehmlichkeiten des Alltags. Dann, etwas höher oben, stand Reisen, die Freude an der Mannigfaltigkeit dieser Welt. Dann, wieder eine Stufe höher, standen Frauen, alle Dinge verfeinerter Lust. Und nochmals einen Grad höher stand der Erfolg. Ja, Erfolg war gut, Erfolg schmeckte gut. Doch diese Dinge waren untere Grade. Darüber stand der Freund, KasparPröckl, und sie, Johanna Krain. Aber ganz ehrlich, auch das war nicht das Letzte. Das Letzte, Höchste war seine Arbeit.
    Johanna hatte zugehört, nachdenklich unter ihm stehend, in dem leichten Regen. Aber ehe sie antworten konnte, war ein Schloßwächter gekommen, mit einem großen Hund, und hatte drohend gefragt, was er da oben auf dem Kunstwerk mache; das Reiten auf den Kunstwerken sei streng verboten. Und Martin Krüger war heruntergeklettert von der hölzernen Mythologie, er hatte einen Ausweis bei sich, und der Wächter war strammgestanden vor dem Direktor der

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