Erfolg
durchzusetzen war, daß also, wenn es nichts wurde, bloß seine sakrische Vorliebe für München daran die Schuld trug, gestand er sich nicht ein. Er war von wüstestem Humor; kein Mensch konnte es ihm recht machen, jeder mußte einen unvermuteten und unverdienten Anpfiff gewärtigen. Vor allem den Tüverlin sah er mit Abneigung.
Der hörte sich das Geraunze Pfaundlers eine Weile mit an,ging dann in die Kantine. Setzte sich zu Bianchini I, dem Artisten. Mit dem hatte er sich auf stille, anspruchslose Art angefreundet. Der Artist war ein schweigsamer Mann mit einer sicheren Anschauung der Welt. Er arbeitete zusammen mit einem sehr jungen Menschen, und alle auf der Bühne wußten: der Junge hatte den Beifall, die Kunst hatte der andere. Die Arbeit von Bianchini I erforderte Jahre der Übung und eine seltene Begabung; der Junge war nur eine gut geschulte, lebendige Puppe, seine Arbeit in wenigen Jahren zu erlernen. Aber Bianchini I war nicht erregt darüber. War das nicht eigentlich immer so? Hatte nicht fast immer der Falsche den Erfolg? Verstand das Publikum, daß vier oder fünf Saltos vom Boden aus ungleich schwerer waren als fünfzig vom Trampolin? Nicht einmal den Unterschied kannte es zwischen einem Kautschukmann, einem Rückwärtskontorsionisten, und einem Vorwärtskontorsionisten, einem Klischniker. Die Feinheit erfreute nur den, der sie machte, und ein paar Fachleute. Das Publikum ging daran vorbei. Dies, an der Arbeit des Artisten präzis erwiesen, interessierte Jacques Tüverlin; denn war es nicht auf den meisten Gebieten ebenso, nur nicht so handgreiflich erweisbar? Mit Teilnahme schaute er zu, wie Bianchini I, wissend, daß das Publikum seine Feinheiten nicht verstand, sie gleichwohl immer weiter zu verfeinern suchte. Er war offenbar nicht eifersüchtig auf den Jungen, Beifallüberschütteten. Doch wunderlicherweise sprach er nicht mit ihm, teilte auch die Garderobe nicht mit ihm, sondern mit dem Instrumentenimitator Bob Richards. Die Beziehungen zwischen Bianchini I und Bianchini II waren schweigsam, schwer durchsichtig und schmeckten, fand Tüverlin, nach Schmerzen.
Bob Richards, der Garderobengenosse des Artisten, setzte sich zu ihnen. Er, im Gegensatz zu den Bianchinis, war ein wortreicher Mann, kannte Bücher Tüverlins und hatte sich schon einmal scharf und respektvoll mit ihm darüber gezankt. Zum Rabbiner bestimmt, hatte er in Czernowitz und auf einer galizischen Schule den Talmud studiert. Hatte sichdann einer Wandertruppe angeschlossen, als Schnellmaler im Zirkus Erfolge erzielt. Hatte dabei einmal Farbe in die Nase bekommen, bösartig, so daß eine schwere Blutvergiftung entstand. Die notwendige Operation hatte ihm das Gesicht, vornehmlich die Nase, verunstaltet, ihm aber auch die Fähigkeit verschafft, durch die abnorme Nase Instrumente aller Art zu imitieren. Er hatte diese Fähigkeit so vervollkommnet, daß er vierzehn Instrumente nachahmen konnte, vom Baßsaxophon aufwärts über alle Streichinstrumente bis zur Pikkoloflöte, alles nur mit seiner mächtigen, abnormen Nase. Seine Kunst war gesucht, hochbezahlt; er war im Hafen, es ging ihm gut. Er reiste stets mit der gleichen Nummer, brauchte wenig Training. Die viele freie Zeit benützte er zu liebevollem Studium kabbalistischer und sozialistischer Werke, die er in einen merkwürdigen Zusammenhang brachte. Er stritt sich freundschaftlich herum mit Benno Lechner, den, auf Wunsch Kaspar Pröckls, Tüverlin als Beleuchter in die Revue hineinbugsiert hatte und dessen schwere, bedachtsame Philosophiererei ihm zusagte.
Der Komiker Balthasar Hierl ging nicht in die Kantine, vermied die andern, saß vielmehr in der Garderobe mit seiner Gefährtin, grantig, knauzend. Es war Blödsinn gewesen, daß er sich von seinen Minerva-Sälen hatte fortlocken lassen in diese damische Geschichte, wo er nicht hineinpaßte. Zwar fand er im Lauf der Proben an der Figur des Kasperl noch einiges, was ihn reizte. Tüverlin hatte aus dem Kasperl nicht einfach eine giftiggrüne Karikatur gemacht, sondern hatte ihm Sympathie gegeben und viel Triumph. Der Kasperl wurde manchmal gehaut, aber viel öfter haute er . Alle haute er auf den Kopf, solang bis die Großkopfigen, Gescheiten tot dalagen. Übrig aber blieb dumpf, selbstverständlich, triumphierend der Kasperl und fragte schlicht: »Was kriegen nachher Sie zahlt, Herr Nachbar?« Die Leichten, Sieghaften vergingen; doch der Kasperl blieb stehen, einfältig, beharrlich, gerade durch seine Dummschlauheit und
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