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Erfolg

Erfolg

Titel: Erfolg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lion Feuchtwanger
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Schwerbeweglichkeit am Ende sieghaft. Der Komiker Hierl wußte nichts von diesergleichnishaften Funktion der Figur, aber er spürte, daß sie genau das wiedergab, was er ausdrücken konnte: die Eigenschaften der Bewohner der Hochebene. Im Grund fühlte er sich wohl in der Rolle. Doch was er davon für sich verwerten konnte, hatte er jetzt ausgepreßt, so daß er es bequem in seinen eigenen Volkssängerszenen wird bringen können: ohne den Tüverlin. Dort, in den Minerva-Sälen, stand er allein, mußte sich nicht zudecken lassen von Gelump aus Schichtls Zaubertheater, Viechern aus dem zoologischen Garten, geschleckten Gigerln und nackten Huren. Der ganze Apparat verstimmte ihn, machte ihn mißtrauisch. Er witterte wie der Pfaundler, der den Riecher hatte, Durchfall und Bruch. War entschlossen, die Rolle hinzuschmeißen.
    Die wahren Gründe gab er natürlich nicht zu, nicht seiner Gefährtin, kaum sich selber. Vielmehr schimpfte er, daß sein Bier schon wieder nicht richtig gewärmt sei, daß diese Direktion einen richtigen Künstler einfach verrecken lasse, sich nicht um seinen kranken Magen kümmernd, daß er narrisch wäre, wenn er da weiter mitmache. Das Bier ausgetrunken, stand er wieder im Korridor herum, in den Kulissen, sagte manchmal: »Ja mei, Fräulein, nachher halt nöt«, zeigte verbockte Traurigkeit so offensichtlich, daß die andern besorgt fragten, was ihn störe.
    Als Tüverlin in den Zuschauerraum kam, probte man ein Bild »Nackte Wahrheit«. Ein junger, reicher Mensch hat in Tibet ein Götzenbild erstanden, eine Kwanon, die die Eigenschaft hat, sich, sooft jemand lügt, zu bewegen. Was er allein wahrnehmen kann. Je dicker die Lüge, so heftiger die Bewegung. Der junge Mensch gibt eine Gesellschaft, ziemlich viel Leute sind da, geredet wird, was überall in solchen Gesellschaften üblich ist. Das Götzenbild zuckt, bewegt sich, immer rascher, immer heftiger, tanzt. Dargestellt wurde die tibetanische Kwanon von Frau von Radolny. Die hatte in ihrer gelassenen Art durchgesetzt, daß sie spielte. Sie war nicht ohne eine gewisse schwere Anmut, dazu grotesk. Aber Pfaundler war nicht zufrieden, mäkelte herum. Katharinablieb gelassen. Tüverlin sah, mit wieviel Mühe. Er wußte, warum Pfaundler sich erlaubte, zu ihr frech zu sein. Es war, weil merkwürdigerweise sie als einzige durch die Geschichte mit dem Enteignungsgesetz ernstlich ramponiert schien. Wohl war das Volksbegehren gescheitert und Frau von Radolny im ungestörten Besitz ihres Gutes Luitpoldsbrunn, ihrer Rente: aber während von allen andern der Presseschmutz der Gegner wirkungslos abfiel, blieb er an ihr hängen. Ohne erkennbaren Grund. Allein sie blieb bemakelt. Die frühere Hofgesellschaft, ihr Kreis, Leute, denen sie Gefälligkeiten mancher Art erwiesen hatte, zeigten ihr die kalte Schulter. Sie hatte keinen Wind mehr in den Segeln, alle spürten das. Auch Pfaundler spürte es. Zeigte es. Sie war gut als tibetanische Kwanon. Ohne das blöde Geschwätz in der Presse, in der Gesellschaft hätte auch Herr Pfaundler sie gut gefunden. Sie wußte das, wußte auch, daß jetzt, wenn er sie schlecht fand, dies nicht nur böser Wille, sondern Überzeugung war. Sie hatte manches erlebt, kannte die Welt, sie war damit einverstanden, daß man an den Erfolglosen strengeres Maß legte. Herr Pfaundler schikanierte. Seine helle Stimme kam grell wie die eines Riesenbabys aus dem Sprechrohr. Frau von Radolny probierte die Szene gelassen immer von neuem, bis Herr Pfaundler das Regiepult verließ, auf die Bühne kam und mit bösem Gesicht, gefährlich leise, bemerkte, man werde das Bild wohl streichen müssen. Nun aber begehrte Tüverlin auf. Laut aus dem dunklen Raum quäkte er, es gebe manches andere, was zuvor gestrichen werden müßte. Pfaundler, auf der Bühne, im Licht des Scheinwerfers, kehrte das wulstige Gesicht dem Dunkel zu, im Begriff zu schreien, bezwang sich, sagte, man werde darüber später schlüssig werden. Der Artist Bianchini I hatte sich neben Tüverlin gesetzt, sagte still: »Sie haben recht, Herr Tüverlin.«
    Tüverlin sagte nichts mehr. Sagte auch zu den weiteren Bildern nichts. Herr Pfaundler hatte überall Wasser zugeschüttet. Alles klang, ins Szenische umgesetzt, lau, vorsichtig, ohne Kraft. Tüverlin sah, seine Arbeit war vertan. Nicht der Mißerfolgärgerte ihn, er trauerte um das vergeudete Jahr. Vielleicht hatte wirklich der Ingenieur Pröckl recht, daß es für Kunst in dieser Zeit keine Möglichkeit gab. Tüverlin lärmte

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