Erfolg
Ausschlachtung des Projekts um den toten König erzählend, hörte ernsthaft zu, folgte mit dem Blick seinen Bewegungen. Unverständlich wie diese Sitte, Krägen um den Hals zu knöpfen, waren fast alle Konventionen der Zeit, die äußeren und die inneren. Jetzt zum Beispiel glaubte dieser Junge vermutlich, er habe großen Triumph über sie, weil er mit ihr geschlafen hatte. Er hatte sie gehabt . Jemanden haben : was für ein albernes Wort. Aber er schien doch nicht ganz überzeugt von seinem Triumph. Sonst würde er sie nicht zu reizen versuchen mit den blöden Geschichten von dem toten König. Die Welt ist voll von Unverstand und Unverständlichem. Der Mann Krüger in seiner Zelle. Der windige Erich Bornhaak, der den Abgeordneten G. erledigt, Hunde vergiftet und mit ihr geschlafen hat und der sich jetzt eine komplizierte Binde um einen steifleinenen Kragen schlang. Die Tennismeisterin Fancy De Lucca, die sich das Bein gebrochen und dann mit einem Revolver totgeschossen hat. Der Großbürger Hessreiter, der sie eine Nacht lang von Herzen undmit allen seinen Sinnen geliebt hat und der sich mit seiner Serie »Stiergefecht« hinwegtröstet über Fliegenpilze, langbärtige Gnomen und allen Widersinn der Welt. Das alles gleichzeitig war in ihrem Zimmer in der Steinsdorfstraße.
Der Junge hörte auf einmal, erstaunt und mit Verdruß, Johanna Krain lachen. Sie lachte nicht laut und nicht leise, nicht böse, aber auch keineswegs gut. Er war zu selbstbewußt, dieses Lachen auf sich zu beziehen, aber einen leisen Verdacht hatte er doch, und er fragte, worüber sie lache. Er bekam keine Antwort. Sie sagte ihm nicht, daß es geschah ob der vielen sinnlosen und qualvollen Dinge, die Menschen unternehmen und die sie offenbar zweckvoll und lustvoll finden, ob ihrer geschlechtlichen Moral zum Beispiel, ob ihrer Kriege und ihrer Justiz, und daß sie lachte wohl auch über sich selbst und ihre jetzt gebüßte Lust an dem Windigen.
Der Junge, da Johanna beharrlich schwieg, war unbefriedigt. Er war hinterher Zärtlichkeiten gewöhnt oder auch Tränen, Beteuerungen, Beschwörungen. Diesen Ernst Johannas fand er stumpf, beleidigend. Er war enttäuscht. Er hatte Wärme erwartet, strömendes Gefühl. Nun erwies sich diese Frau als eine kalte Lüsterne, die mehr von ihm hatte als er von ihr. Er fühlte sich beschwindelt. Zündete sich eine neue Zigarette an, färbte sich die Lippen. Da es offenbar kein Mittel gab, die Frau aus ihrer Kälte und Stumpfheit herauszuholen, sagte er schließlich: ja, nun gehe er also in den »Gaisgarten«, es sei gerade noch Zeit, den Ludwig Ratzenberger zu treffen. Sie hielt ihn mit keinem Wort zurück. Er pfiff eine Melodie aus einem der Negertänze der Zeit, ging nach beiläufigem Abschied.
Da lachte Johanna ein zweites Mal. Diesmal klang es befreit und gut. Sie öffnete das Fenster, daß der Geruch der Zigarette und der leise Geruch von Heu und Leder sich entfernte. Das lag nun hinter ihr, abgelebt, und war gut so. Sie stellte sich unter die Dusche, den Körper unter dem spritzenden, kalten Wasser zusammenziehend, streckend. Neugierig, mit zunehmender Erquickung, genoß sie, wie dasWasser über ihren Kopf rann, der nun des langen Haares ledig war. Dann ging sie zurück in ihr Schlafzimmer, vorbei an dem Zeitungsblatt mit dem schadhaften e , legte sich ins Bett, dehnte sich, legte sich auf die Seite, zog die Knie an, schlief gut, traumlos.
23
Vorkriegsvater und Nachkriegssohn
Dr. Geyers Bier war schal geworden, er hatte kaum davon getrunken. Aus Höflichkeit für den Wirt hatte er von dem bestellten Schweinebraten heruntergewürgt; weiter nun konnte er nicht mehr.
Der Anwalt, überschwemmt von Aufträgen, wieder hineingerissen in praktische Politik, verstrickt in zahllose Geschäfte, erdrückt von Akten, von vierundzwanzig Stunden knapp sechs schlafend, verhockte jetzt manchen seiner kostbaren Abende in der »Hundskugel«. Mager, in unschöner, gezwungener Haltung saß er, mit zappeligen, dünnen Händen, zwischen Arbeitern, Gewerkschaftsbeamten, fanatischen, unmanierlichen Literaten, in dem widerwärtigen Lokal, das erfüllt war von Rauch und lärmvollen, unlogischen Debatten. Man sah ihm die Bemühung an, sein offenkundiges Unbehagen nicht sichtbar werden zu lassen.
Sooft sich die Tür der Kneipe öffnete, schaute er auf. Es war eine leise, uneingestandene Hoffnung, die ihn in diese unsympathische Atmosphäre führte. Es gingen nämlich sonderbare Fäden von den Kommunisten der »Hundskugel«
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