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Erfolg

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Titel: Erfolg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lion Feuchtwanger
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Nahm zum erstenmal seit langer Zeit das gebündelte Manuskript »Recht, Politik, Geschichte« vor. DerVormittag verging, der Mittag, der frühe Nachmittag. Der Anwalt nahm Bankabrechnungen vor, Bündel ausländischer Geldnoten, die er zu Hause verwahrte. Es waren beträchtliche Summen, für das Deutschland jener Tage sehr hohe Beträge. Der Anwalt zählte, rechnete, legte wieder weg. Wartete. Es läutete. Er setzte sich zurecht.
    Hereindrang, nach Disput mit der Haushälterin, sein Bürovorsteher. Seine Meldung war wichtig, unaufschiebbar. Er entschuldigte kaum sein Eindringen. Georg Rutz, sozialdemokratischer Reichstagsabgeordneter für den Wahlkreis München II, war im Auto tödlich verunglückt. Dr. Geyer, erster Ersatzmann auf der Liste, Mitglied des Reichstags.
    Der Bürovorsteher gegangen, atmete Dr. Geyer, zwinkerte mit den Augen, schluckte trocken, spürte sein Herz. Da war es also entschieden. Er geht fort aus dem versumpften, trägen München in das lebendige Berlin. Da er es von selber nicht tat, stieß ihn das Schicksal. Warf ihn geradezu mit Gewalt dorthin, wohin er seiner ganzen Art nach gehörte. Er hatte sich Berlin gewünscht, den Sitz im Reichstag ersehnt durch lange Jahre, sich mit aller Kraft seines Verstandes gesagt, allein Berlin sei die rechte Stadt für ihn. Er ging auf, nieder, warf sich auf die Ottomane, schloß unter den dicken Brillengläsern die dünnen, entzündeten Lider, lag, die Hände hinterm Kopf verschränkt, in raschen Phantasien. Malte sich aus, wie er auf der sichtbarsten Kanzel des Reichs sein Wort über die bayrischen Dinge sagt, sein scharfes, brennendes Wort, daß es hinzünde überall. Doch die Vorstellung, oft und inbrünstig gehegt, wärmte ihm nicht das Herz.
    Der Anwalt, auf dem Rücken liegend, mit geschlossenen, roten Lidern, die dünnen Finger unterm Kopf, dachte plötzlich weder den Reichstag noch den Jungen, noch den Klenk. Vielmehr dachte er an das Mädchen Ellis Bornhaak, an einen österreichischen See, an einen Waldweg, den er einmal mit ihr hinaufgegangen war. Deutlich sah er die Serpentinen dieses Weges, sah, wie der Blick sich weitete, wie jetzt noch eine Bucht des Sees erschien, jetzt ein neues Dorf. Der Name diesesDorfes: wie war doch der Name dieses Dorfes? Während er noch in seinem Gedächtnis stöberte, kam der Junge.
    Erich Bornhaak setzte sich, ging flott, ohne Umwege, in die Sache hinein. »Die Geschichte mit der Katzenfarm«, sagte er, »ist leider danebengegangen. Es lag an der Schäbigkeit des Betrags, den du mir zur Verfügung gestellt hast. Mit so lächerlichen Summen kann man keine Geschäfte machen«, sagte er mißbilligend. »Mit einer Kompanie kann auch ein Napoleon keinen Krieg führen.« Der Anwalt sagte still: »Ich hatte damals leider nicht mehr. Heute könnte ich dir mehr geben.« – »Danke«, sagte der Junge. »Ich brauche kein Geld heute. Ich habe jetzt sehr noble Geldgeber und andere, besser rentierende Geschäfte.« Er schwieg. Seine Forschheit, seine Schnoddrigkeit war diesmal etwas gemacht. Es bewegte den Anwalt, daß der bitter geliebte Mensch doch offenbar Scham hatte, mit seinem Anliegen zögerte. »Es handelt sich um Herrn von Dellmaier?« half er ihm.
    Ja, es handelte sich um Herrn von Dellmaier. Der Fall drohte sich zu verschärfen. Ob der Anwalt ihn übernehmen wolle?
    Dr. Geyer hatte ähnliches voraussehen müssen, war darauf vorbereitet. Der von Dellmaier war ein dummer, hohler, verbrecherischer Lump; ihn unschädlich machen war ein gutes Werk. Der Anwalt war nicht willens, den Fall zu übernehmen. Er hatte jetzt Geld, war bereit, es dem Jungen zu geben. Der konnte, anstellig wie er war, manches damit anfangen. Nur von diesem Dellmaier sollte er los. Es war Schicksal, daß der andere belastet war, nicht er. Das mußte dem Jungen eingehen. Er wollte zu dem Jungen reden, er hatte ihm soviel zu sagen, jetzt war die Gelegenheit.
    Der Junge saß vor ihm mit einer krampfig gleichgültigen Miene. Dr. Geyer war kein großer Menschenkenner in der Praxis, aber so viel erkannte er, daß diese Miene Maske war, daß wahrscheinlich als einziges von allen Dingen auf der Welt das Schicksal dieses windigen, gemeinen von Dellmaier dem Jungen nicht gleichgültig war. Der Anwalt sah die Hosen desJungen, seine Schuhe, seine Gamaschen. Ja, er trug heute Gamaschen, dies war seit zwei Monaten Mode, und merkwürdigerweise, trotzdem es ihm angeblich gut ging, fehlte an der rechten Gamasche ein Knopf. Das alles bemerkte der Anwalt, während er

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