Erfolg
Krüger lange nicht gesehen, seit der Reise nach Frankreich nicht. Spannung füllte sie, als sie nun zu ihm fuhr, Grimm auf seine Feinde, heiße Freundschaft für ihn.
Auf Martin Krügers lebendigem Gesicht hatte sich stets jede Empfindung unmittelbar wie bei einem Kind ausgedrückt. Heute, da er sie sah, leuchtete sein graues, etwas gedunsenes Antlitz so plötzlich und strahlend auf, daß sie ein schmerzhaftes Staunen packte, wie sie so lange von ihm hatte wegbleiben können. Nichts mehr war an ihm von Ziererei, von Sentimentalität. Der Martin der frühen Jahre war ganz verschwunden, ebenso wie der dumpfe, in sich eingesponnene. Ein neuer Mensch war da, offen, liebenswert, ohne Krampf, lebhaft.
Dabei hatte sich seine Lage im Zuchthaus von Odelsberg nicht verbessert. Der Kaninchenmäulige war recht nervös geworden, schnupperte nach dem Wind, fand ihn nicht. Es gab jetzt so viele Veränderungen in den leitenden Stellen im Ministerium, er hatte nicht mehr viel Zeit, wie leicht konnte manauf ihn vergessen. Es war übel, in Gehaltsklasse XII zu enden. Der Hartl war mächtig, allein Verweser der Geschäfte im Ministerium war der Messerschmidt. Unklar, unklar. Die Wahrhaft Deutschen hatten eine starke Nebenregierung etabliert. Doch wer konnte wissen, wie das ausgeht. Die politischen Symptome wechselten, der Kaninchenmäulige mit ihnen.
Jede kleinste Ausdeutung dieser Symptome, jeden winzigsten Wechsel in den Anschauungen des Zuchthausdirektors Förtsch über die Kräfteverteilung in der Regierung bekam Martin Krüger an seinem Leibe zu spüren. Doch dieser ständige Kampf, dieses Hin und Her lähmte ihn nicht, belebte ihn. Man konnte ihm Bücher entziehen, Arbeit, aber nicht Gedanken, Einfälle. Konnte ihm sein immer größeres, weiteres Bild von dem Rebellen Goya nicht nehmen. Er lebte. Lebte im Zuchthaus heftiger, vielfältiger als vorher außerhalb der Mauern.
Jetzt, Johanna sehend, strahlte er auf. Sah ihr Gesicht sonngebräunt, straff vor Leben, kühner durch das kurze Haar, ihre Gestalt federnd durch Sport aller Art. Martin Krüger sah, daß Johanna schön war, und sagte es ihr. Sie aber errötete.
Er erzählte von seinem Streit mit Kaspar Pröckl, lächelnd, freundschaftlich. Erzählte, sich selber ironisierend, von den Wochen, da seine Post ihm die Welt ersetzte. Sicher wollte er Johanna nicht kränken, doch sie schämte sich brennend, daß sie in ihre Briefe nicht mehr Leben gelegt hatte. Er erzählte von seinen Mitgefangenen, von Leonhard Renkmaier, gutmütig, anschaulich, amüsant. Er erzählte stark, unpathetisch von dem Maler Francisco Goya.
Gesundheitlich ging es ihm nicht schlecht. Er sah grau aus, doch nicht mehr schlaff. Das Herz freilich machte ihm Beschwerden. Er schilderte dieses gräßliche Vernichtungsgefühl. Es senkt sich grau um einen herum, zerdrückt einen, preßt, schnürt. Es ist, als drückten sich Maschinen ineinander und man ist in der Mitte, als versteinerte man von innen. Man kann ausatmen, aber nicht einatmen. Man taumelt herum,die Arme hochgeworfen, und japst nach Luft. Das dauert ewig. Kommt man dann wieder zu sich, und es ist jemand bei einem, dann greift man nach ihm, hält sich an ihm. Wundert sich, wenn man hört, der ganze Anfall habe nur Sekunden gedauert. Der andre hat nur gesehen, daß man grau im Gesicht wird, schwankt, vielleicht hinschlägt. Schlimmer noch ist es, wenn man sich, kommt man zu sich, allein findet. Wenn man Vernichtung geschmeckt hat und taucht wieder heraus, braucht man irgend etwas Lebendiges. Einmal hat es ihn in der Nacht gepackt: dann den Schritt des Wächters zu hören, war Erlösung. Er erzählte so, daß Johanna es selber spürte. Viermal insgesamt hat er solche Anfälle gehabt. Aber er jammerte nicht, bemitleidete sich nicht, war voll Zuversicht.
Später erzählte er, daß er jetzt die Vorstellung verloren habe von dem Bild »Josef und seine Brüder«. Das betrübte ihn. Photographien konnten ihm und das, was er früher darüber geschrieben hatte, das Bild nicht mehr vermitteln. Allein er hatte jetzt seinen Goya.
Zuletzt, kurz ehe die Sprechzeit ablief, sah Johanna, daß ihr Körper Martin sehr erregte. Seine Augen schleierten sich. Er setzte an zu sprechen; vermochte es nicht, schnaufte, schluckte, griff nach ihr. Sie wich nicht zurück, entzog sich ihm nicht. Doch sie bog krampfhaft den freien rechten Arm, die Finger, mußte sich zwingen, ihm nicht Widerwillen zu zeigen. Der Wärter saß stumpf dabei. Noch als sie ging, hatte sich Martin
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