Erfolg
hatte sich für die bevorstehende Begegnung mit dem Maler Franz Landholzer sorgfältig angezogen, auch rasiert. Seitdem er erfahren hatte, daß dieser Maler Landholzer, der Maler des Bildes »Josef und seine Brüder«, identisch war mit dem wegen Geisteskrankheit internierten Eisenbahningenieur Fritz Eugen Brendel, brannte er auf diesen Besuch.
Wenn er an seinen Balladen schrieb, an dem Zyklus, in dem sein Einzelner zur Zelle eines großen Zellgebildes wurde, dann war alles klar, Bild und Wissen war eines. Aber rechtes Wissen mußte sich in dürren Sätzen sagen lassen. Man mußte darüber diskutieren können. Seine Balladen, solang er sie sang, rissen den Hörer hin: aber hatte er ausgesungen, dann war auch die Wirkung vorbei. Man konnte nicht mit Gründen darüber debattieren, keiner verwandelte sich durch sie. Seine Zweifel, ob Kunst in dieser Zeit eine sinnvolle, eines ernsthaften Menschen würdige Tätigkeit sei, wuchsen.
In diesen Zweifeln blieb einziger fester Punkt das Bild »Josef und seine Brüder«. Der Zorn des Bildes und sein Humor, sein inneres Format, die Großheit seiner Auffassung bei der unpathetischen Werktätigkeit seiner Haltung hatte tief an den Wurzeln seines Wesens gerissen. Es konnte nicht sein, daß solche Malerei nicht mehr war als Leinwand und Farbe. Wie er erfuhr, der Schöpfer des Werkes, das nun irgendwo im östlichen Rußland hing, sitze in der Heil- und Pflegeanstalt Niedertannhausen, war ihm das Hoffnung und Drohung in einem gewesen. Er mußte den Mann sehen. Ihn sehen war wichtig. Ihn sprechen war wichtig. Wohin man trat, war Kies und Geriesel. Hier war ein deutlicher, fester Weg.
Die Landschaft, durch die Kaspar Pröckl fuhr, war monoton. Die Straßen schlecht, verwahrlost. Es hatte wochenlanger Schreiberei bedurft, bis Kaspar Pröckl die Erlaubnis eines Besuchs in Niedertannhausen erhalten hatte. Er kam viel zu langsam vorwärts für seine Ungeduld.
Als er endlich in der Anstalt angelangt war, mußte der heftige Mensch lange warten. Statt daß man ihn mit dem Maler Landholzer zusammenbrachte, bemächtigte sich seiner ein Dr. Dietzenbrunn, der erste Assistenzarzt, ein langer, schlenkeriger Herr von etwa vierzig Jahren, blond, mit gegerbter Haut, krauser Nase, kleinem Kinn, kleinen, wasserblauen Augen unter zerbeulter Stirn. Sprach auf ihn ein, erzählte. Schwatzte von psychiatrischen Theorien, von den Grenzgebieten zwischen Genie und Irrsinn, von dem Dr. Hans Prinzhorn, der jener Epoche als ein erster Fachmann auf diesem Felde galt. Zu anderer Zeit hätten den Kaspar Pröckl solche Fragen interessiert, heute war er hergekommen, um den Maler Landholzer zu sehen, einen großen Mann, einen der ganz wenigen, an die er glaubte. Der Psychiater schwatzte vielwortig, billig, sarkastisch. Kramte herum mit seiner langen, rötlichen, blondbehaarten Hand in einem dicken Aktenbündel, das Aufzeichnungen über den Internierten enthielt, gutachtliche Äußerungen von Ärzten, Berichte von Behörden, Schreibereien, einzelne Zeichnungen des Patienten.
Von der Malerei, die der internierte Fritz Eugen Brendel unter dem Namen Landholzer ausgeübt hatte, schien Dr. Dietzenbrunn nicht viel zu halten. Das Bild »Josef und seine Brüder« erwähnte der beredte Mann nicht.
Wenigstens erfuhr Kaspar Pröckl aus dem Bericht des Arztes einiges über die undeutliche Lebensgeschichte des Landholzer. Der jetzt Siebenundvierzigjährige entstammte einer ziemlich wohlhabenden badischen Familie. War Privatdozent an einer technischen Hochschule gewesen, hatte sich vor allem mit dem Problem befaßt, aus photographischen Luftaufnahmen richtige Karten herzustellen. Er steckte Geld in dieseVersuche, allmählich sein ganzes Vermögen, gab seine Dozentur auf, begnügte sich, um sein Leben zu fristen, mit einer subalternen Stellung als Zeichner bei der staatlichen Bahnverwaltung. Während des Krieges konnte er eine Erfindung, seiner Meinung nach geeignet, die Erdvermessung umzuwälzen, zu einer Reihe von Patenten anmelden. Doch die Patente wurden von der Militärbehörde im Heeresinteresse gesperrt, Brendel-Landholzers Instrumente beschlagnahmt. Nach Friedensschluß lebte er auf, hoffte, seine Erfindung praktisch verwerten zu können. Aber noch ehe seine Patente freigegeben waren, wurden von anderen Technikern Instrumente herausgebracht, die auf den Prinzipien seiner Erfindung beruhten. Viele Leute hatten, Offiziere, Heeresbeamte, in seine gesperrten Patente Einblick gehabt. Er prozessierte. Prozessierte Jahre
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