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Erfolg

Erfolg

Titel: Erfolg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lion Feuchtwanger
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zurückzuweichen. Aber er bezwang sich und blieb stehen. »Sie hätten sich auch vorstellen können, junger Mann«, sagte der Maler Landholzer zu Kaspar Pröckl mit scharfer Stimme. Es zeigte sich jetzt, daß er erheblich größer war als Kaspar Pröckl, ein langer, schlotteriger Mann. »Das hätte Ihnen gar nichts geschadet«, sagte er, und Kaspar Pröckl konstatierte, daß er badischen Dialekt sprach. »Ich heiße Kaspar Pröckl«, sagte der junge Mensch. »Ich bin Ingenieur.« Der Kranke blieb noch eine Weile stehen, in unmittelbarer Nähe Pröckls, so daß er seinen starken Geruch roch und bedrängt wurde von seinem sehr hörbaren Atem. Dann plötzlich ließ der Maler Landholzer ab von ihm, sagte, fast gemütlich: »Soso, Sie sind auch Ingenieur«, ging auf und nieder.
    Der Arzt meinte, besondere Erregungszustände scheinedie Anwesenheit Kaspar Pröckls nicht hervorzurufen. Er denke, er könne ihn mit dem Kranken allein lassen. In etwa einer Stunde werde der Wärter den Brendel zum Spaziergang abholen. Pröckl, wenn er wolle, könne ihn begleiten. Damit ging er.
    Der Maler Landholzer lief zur Tür, schaute dem Doktor durchs Schlüsselloch nach, lief zum Fenster, verfolgte den sich Entfernenden mit magisch beschwörenden, fortscheuchenden Handbewegungen. Dann, nachdem er festgestellt hatte, daß der Arzt endgültig fort war, lächelte er Pröckl an, befriedigt, verschmitzt, lud ihn zum Sitzen. Sagte unvermittelt mit seiner hellen, harten Stimme, sachlich: »Sie wundern sich wohl, junger Mann, daß ich im Narrenhaus bin?« Hinterhältigkeit eines Geduckten hätte Pröckl mitleiden machen, anklägerische Bitterkeit ihn empört mitgerissen: diese Sachlichkeit bewirkte, daß ihm kalt wurde vor Schrecken: »Bitte sprechen Sie, Herr Landholzer«, sagte er. »Ich heiße nicht Landholzer«, verbesserte der Mann scharf. »Ich heiße Fritz Eugen Brendel, Ingenieur bei der Reichsbahn, Erfinder der Luftvermessungsapparate, Schöpfer des ›Bescheidenen Tiers‹, Lazarus von Nazareth, Statthalter Gottes und der Eisenbahn zu Wasser und zu Lande und sämtlicher Luftstreitkräfte. Vom Gericht der Menschen in sieben Instanzen übel um seine Erfindung betrogen.« Er stand auf, wippte, sich mit einem Fuß vorschnellend, durchs Zimmer, lächelte schlau: »Aber jetzt habe ich mich ins Narrenhaus gerettet. Es war nicht leicht, es war viel Beschiß notwendig. Es ist natürlich auch unangenehm, wenn man Leichengeruch, Krankengeruch, Aftergase, Katzenjammer auf elektrischem Weg in den Körper getrieben kriegt. Aber jetzt kann ich in Ruhe die Urteilsverkündung des Jüngsten Gerichts abwarten. Dann wird die Vermessung mit meinen Instrumenten gemacht werden, und das Lamm wird neben dem Luftbildkommando weiden.« Er trat ein paar Schritte hinter sich, betrachtete Kaspar Pröckl von rechts, von links, den Kopf in verschiedener Schräge geneigt, wie man ein Bild anschaut. Sagte: »Siescheinen nicht unsympathisch, Sie verdienen, normal zu werden. Wollen Sie nicht nach Niedertannhausen? Hier ist man im Hangar. Sie sollten es versuchen. Es ist natürlich nicht leicht, zu simulieren. Die Ärzte sind mißtrauisch. Es gehört Entschluß dazu, mehrere Jahre hindurch stille Schizophrenie zu machen. Hirnspaltung, affektive Ambivalenz. Aber man gewöhnt sich. Man muß sich bloß vor Minderwertigkeitsgefühlen in acht nehmen. Sagen Sie, halten Sie vielleicht mich nicht für irrsinnig? Sehen Sie. Und sich selber?«
    Kaspar Pröckl war erschöpft, seine Gedanken drehten sich. Manchmal hatte er das Gefühl, er werde von einem makabren Witzbold zum Narren gehalten. War es denkbar, daß sich jemand viele Jahre in ein Irrenhaus sperren ließ, um einen Witz zu machen?
    Er holte eine Reproduktion von »Josef und seine Brüder« hervor. »Ich bitte Sie, mir einiges darüber zu sagen«, brachte er etwas heiser heraus. Der Mann schaute ihn an, kurz, scharf, mißtrauisch. »Das ist kein gutes Bild«, sagte er dann ablehnend. »Es ist aus der anormalen Zeit. Tun Sie gefälligst das Bild weg!« schrie er auf einmal.
    »Würden Sie mir einiges zeigen von dem, was Sie seither gemacht haben?« bat Kaspar Pröckl mit ungewohnter Unterwürfigkeit. Er saß wie abgesperrt von der Luft, jenseits von Raum und Zeit. Er war noch nie einem Menschen begegnet, dem er sich nicht heimlich überlegen gefühlt hätte. Es drückte ihn, daß er diesen Mann, mochte er nun verrückt sein oder nicht, für größer halten mußte als sich selber.
    Der Mann stand auf, stellte sich wieder

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