Erfolg
war manches Abstruse auf dem Bild; die Tiere der Apostel, der Löwe des Markus, der Ochs des Lukas, der Adler des Johannes nahmen an dem Mahle teil. Auch war Judas zweimal auf dem Bild, rechts und links, einmal mit geöffneter Herzkammer und geöffnetem Schädel, so daß die Windungen und Furchen des Gehirns bloßlagen. »Sehen Sie«, sagte der Maler, »das ist das normale Bild. Nicht das, was Sie bei sich haben. Aber wenn Sie sagen, was ist, kommen Sie ins Narrenhaus. Nur im Narrenhaus dürfen Sie sagen, was ist. Folglich will jeder Vernünftige ins Narrenhaus.«
»Das Bescheidene Tier«
Kaspar Pröckl erwiderte nichts. Er saß in starker Benommenheit, die Pfeife war ihm ausgegangen. Der Maler Landholzer drehte plötzlich das Bild wieder um, begann rasch und geübt die Packen wieder zuzuschnüren. Sagte: »So, jetzt ist es genug. Da könnte jeder kommen. Jetzt will ich mich rasieren lassen.« Kaspar Pröckl bat nicht, sagte nichts, machte keine Bewegung. Es erwies sich, daß dies das Richtige war. Denn der Mann sagte nach einer Weile: »Eines will ich Ihnen noch zeigen.« Er förderte ein kleines Holzstück zutage, ein flaches Stück helles Mahagoni. Darauf war eine sehr einfacheReliefschnitzerei, ein Tier von nicht näher bestimmbaren Formen, den großen, riesigäugigen, flachen und breiten Kopf dem Beschauer zugewandt, sonderbar blattartige Ohren, kurze Hörnerstummel. Die Vorderbeine waren eingeknickt, so daß das Tier zu knien schien. »Das ist das ›Bescheidene Tier‹«, sagte der Mann, »das Reh, das auf katholisch geht.« Kaspar Pröckl hielt das kleine Holzstück in der Hand. Er bohrte seine tiefliegenden Augen in das Relief, während er den schmalen Mund leicht offenhielt. So also schaute er das kniende Tier im Holze an, und aus dem Holz das kniende Tier schaute ihn an mit seinen riesigen Augen, wehmütig, grauenvoll, rätselhaft rührend, heraustauchend aus dem Nichts, bescheiden, ungeheuer daseiend. »Damals wurde ich zum Künstler geschlagen«, sagte der Mann.
Listig lächelnd, durch Minuten, schaute er auf Kaspar Pröckl. »Sie sollten es nicht so lange anschauen«, sagte er schließlich. Da Kaspar Pröckl, sehr zögernd, ihm das Holz zurückgeben wollte, sagte er beiläufig: »Sie können es behalten.« Und, da Kaspar Pröckl aufleuchtete: »Sie wollen es mir schenken? Das wollen Sie mir schenken?« – »Ja«, wiederholte er mit großspuriger Beiläufigkeit, »behalten Sie es ruhig.«
Das Holzstück mit dem »Bescheidenen Tier« lag nun auf dem Tisch zwischen Kaspar Pröckl und dem Maler Landholzer. Daneben lag Pröckls Pfeife. »Sie verstehen«, sagte der Maler Landholzer, »ich bin der Amboß meines Schicksals. Sie können das ›Bescheidene Tier‹ auch so betiteln: ›Der Amboß seines Schicksals‹ oder ›Der Beschiß‹. Es ist aus einer Sofakante gemacht.« Er sagte das mit seiner hellen, harten Stimme, keineswegs anklägerisch oder gar lamentierend. Der junge Kaspar Pröckl hatte Menschen auf üble Art verrecken sehen, im Krieg und während der Revolution, er hielt diese Welt durchaus nicht für die beste unter allen möglichen und glaubte keineswegs, daß der Mensch gut sei, er hatte sich abgefunden, er hatte seine Erfahrungen und war für Sentimentalität nicht zu haben: aber die sachliche Art, auf die der schizophrene Eisenbahningenieur Fritz Eugen Brendel ihmdas »Bescheidene Tier« erklärte, machte, daß ihm auf eine ungewöhnliche Art unbehaglich wurde. Er wollte das Holzstück in die Tasche stecken. Allein er ergriff statt dessen seine längst ausgegangene Pfeife, gab einen merkwürdigen Laut von sich, eine Art unmutigen Schluckens, zündete umständlich und ungeschickt die Pfeife wieder an. Dann erst steckte er das Holzstück in die Tasche.
»Selbstbildnis«
Der Maler Landholzer beobachtete aufmerksam alle seine Bewegungen. Als das »Bescheidene Tier« in der Tasche Kaspar Pröckls verschwunden war, lächelte er verschmitzt, zufrieden, holte eine mittelgroße Buntstiftzeichnung hervor. »Jetzt sehe ich so aus«, sagte er, das Blatt dem Kaspar Pröckl vorhaltend, etwas kokett, fast wie ein Verkäufer, der seine Ware möglichst verlockend drapiert. Es war aber ein »Selbstbildnis«, heftig in der Farbe, ein herrschendes Blau, das Gesicht stumpf hellbraun. Über dem struppigen Bart, der fleischigen Nase schielten den Beschauer die tiefliegenden Augen an, heftig, wüst, brennend, sonderbar verdreht, listig. Kaspar Pröckl war sich bewußt, den Mann genau angeschaut zu haben; er
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