Erfolg
geht’s nimmer«, früher »Kasperl im Klassenkampf«, jenes Spiel, an das der Schriftsteller Jacques Tüverlin einen guten Teil bester Zeit und nicht geringer Begabung gesetzt hatte.
Dieser Schriftsteller Jacques Tüverlin selbst kam erst nach Beginn des Spiels ins Theater. Eigentlich nur deshalb, weil es, wäre er ferngeblieben, wie Desertion aussah. Er kam in einer flauen, lahmen Stimmung, überzeugt vom Mißerfolg. Er hatte längst Bilanz gemacht, klar, unnachsichtlich, der Ingenieur Pröckl hätte es ihm nicht schärfer besorgen können. Was war Kunst? Was war ein Kunstwerk? Alles Kunstschaffen entsprang aus dem Ausdrucksbedürfnis, das dem Menschen eingeboren war wie der Trieb zur Nahrung und Fortpflanzung. Wahrscheinlich hatte das die Natur so eingerichtet, damit der Mensch seine individuellen Erfahrungen und Erkenntnisse möglichst rein und unmittelbar für die Art konserviere. Er, Jacques Tüverlin, hatte sein Ausdrucksvermögen schlecht und dumm verwertet. Hatte sich überrumpeln lassen von der Verlockung, daß er jetzt nicht nur Papier und eine Schreibmaschine, sondern ein großes Haus und einige hundert Menschen zur Gestaltung dessen zur Verfügung hatte, was er ausdrücken wollte. Hatte die herrlicheSouveränität seines Schreibtisches preisgegeben, hatte sich, nicht klüger als ein Rupert Kutzner, hinreißen lassen von der idiotischen Lust, für seinen Spaß diese paar hundert Menschen gebrauchen zu dürfen.
Er ging nicht unters Publikum, sondern drückte sich hinter den Kulissen herum. Man war nervös, er stand allen im Weg. Schließlich forderte der Artist Bianchini I ihn auf, er solle mit in seine Garderobe kommen. Tüverlin blieb lange in dieser Garderobe mit Bianchini I und dem Instrumentenimitator Bob Richards, in angenehmer Ruhe und gelassenem Gespräch, vergessend, daß man wenige Meter entfernt eine dumme, verhunzte Sache produzierte, an der, als sie entstand, sein Herz hing.
Diese Revue »Höher geht’s nimmer« schritt unterdessen zäh, doch äußerlich glänzend und gut klappend voran. Die Bilder »Stilleben« und »Tut en Kamen« waren vorbei ohne stärkere Wirkung, und die Kenner flüsterten bereits, die Revue versage. Aber das Publikum war gutmütig, wartete freundlich ab. Kam von der Bühne auch nur die leiseste Anregung, so war es, die Leere und Langeweile vorher vergessend, sogleich bereit, zu jubeln. So hatte das Bild »Nackte Wahrheit« ersichtlichen Erfolg. Die Zuschauer empfingen Frau von Radolny mit stürmischer Freude; die große, fleischige Frau war offenkundig nach ihrem Geschmack. Gerade daß sie so unbekümmert ihre Üppigkeit zur Schau stellte, gefiel, imponierte.
Dennoch wäre schon die erste Stunde der Revue ein allen erkennbares Fiasko geworden ohne die Lärminstrumente des Erfinders Druckseis. Doch als diese Instrumente losgingen, als sie eine Herde muhender Kühe und quiekender Schweine wiedergaben, als sie Hundegekläff produzierten, Autogehupe, Lokomotivenpfeifen, Gewitterdonner, marschierende Truppen, als der Imitator Bob Richards aus Czernowitz das nachahmte und die Nachahmung einiger Geräusche gewollt kläglich ausfiel, als weiter der ganze höllische Lärm sich symphonisch einte, und als schließlich die Münchner Stadtweisevon der grünen Isar und der nicht aufhörenden Gemütlichkeit daraus entstand, als diese Stadtweise gekrönt wurde von der ehemaligen bayrischen Königshymne, wiedergegeben von der ganzen wüsten Vereinigung der großartig scheußlichen Apparate, als nackte Girls vorschwirrten, weiß und blaues Tuch um Brust und Schoß, weißblaue bayrische Fahnen schwingend, als gar noch mächtig projiziert, umgeben von den Türmen mit den nicht vollendeten Kuppeln, von Weißwürsten, Bierkrügen und der in Mönchstracht gekleideten Symbolfigur des Münchner Kindls, der Bayrische Löwe auf dem Prospekt erschien, da war die Enttäuschung der ersten Stunde weggefegt. Große, ehrliche Begeisterung brach los. Auf stand das Publikum, stürmisch in die mächtigen Hände patschte es, einstimmend in die Hymne.
Es feixte Kaspar Pröckl, es lächelte oben auf seiner Beleuchterbrücke Benno Lechner. Niemand wußte, ob der bösartige Witz von Tüverlin stammte oder von Pfaundler, oder ob er überhaupt gewollt war. Tüverlin selber lächelte. Da hatte er nun doch etwas von der Revue, wie er sie ursprünglich geplant hatte. Dieses Publikum, begeistert die von Schweinsgequiek und Ochsengebrüll und dem Imitator mit der unförmigen Nase hervorgebrachte Hymne
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