Erfolg
mitsingend, diese Leute, in deren Herzen und Stimmbändern der possenhaft gemeinte Schall sogleich den eingedrillten Enthusiasmus tropisch hochblühen ließ, waren in Wahrheit von Aristophanes.
Otto Klenk, als die Apparate des Erfinders Druckseis in Tätigkeit traten, begann finster zu strahlen. Er war bis jetzt etwas enttäuscht dagesessen, noch recht blaß neben den vollblütigen, gesunden Männern ringsum, und der Smoking schlotterte ein bißchen um den riesigen Mann. Aber als der Lärm auf der Bühne losging, als der umjubelte Bayrische Löwe erschien, da lebte der ehemalige Minister auf. Ja, so hatte er sich das seelische Terrain seines Volkes vorgestellt, und auf diesem Terrain wollte er jetzt seinen Spaß, seine Gaudi anbauen. Daß man sich nicht mehr zurechtfand zwischendem Gebrüll auf der Bühne und dem im Publikum, daß man nicht mehr wußte, war der Löwe Ernst oder Parodie, diese ganze großartige Kasperliade und die Hingabe, mit der sie betrieben wurde, das war richtig, das stimmte. Solange er im Amt war, hätte er mit einer gewissen Besorgnis, vielleicht sogar mit kleinem Kummer zugeschaut, wie seine Münchner so gottverlassen in diesem hundsordinären Stumpfsinn versanken. Jetzt paßte es ihm. Gut, weiter. Soll es so weitergehen. Er wird mittun. Zeigen wird er es einigen Leuten. »Das Fallende soll man stoßen« oder so ähnlich hieß es bei einem Klassiker.
Unterdessen wurde auch der freie Platz neben Erich Bornhaak besetzt. Eine Dame nahm ihn ein. Die Dame war Johanna.
Der Windige hatte sie seit jener Nacht nicht mehr gesehen. Hatte einmal vergeblich angerufen. Wie nun der Theaterkassier sie ihm zur Nachbarin gab, begrüßte er sie beiläufig, fand nicht seine gewohnte Keckheit, wußte nicht recht, was tun, machte ab und zu kleine ironische Anmerkungen zu ihr über das, was auf der Bühne geschah. Da Johanna wenig und kühl erwiderte, wurde er stiller, verstummte endlich vollends. Was bildete sie sich ein? Schließlich hatte er sie doch gehabt: was wollte sie? Es gibt Bessergewachsene als sie. Intelligentere, Spritzigere, Feschere. Man macht es ihm nicht schwer, er hat die Wahl. Überhaupt jetzt, wo er in der Glückssträhne ist. Sein Ansehen bei den Wahrhaft Deutschen wächst von Tag zu Tag. Dazu hat ihm der Alte einen ansehnlichen ausländischen Scheck geschickt. Offenbar als eine Art Versöhnungsgeschenk, weil er sich bei der Verteidigung des von Dellmaier hatte drücken wollen. Eine dolle Artischocke, der Alte. Diese faulige Demut, mit der er jeden Fußtritt hinnimmt. Überhaupt eine spaßhafte Sache, das Leben. Auch die Chose mit dem Boxer Alois ist spaßhaft, abgesehen davon, daß sie Zaster bringt. Ein bißchen gefährlich vielleicht, weil es sich um den Bruder des Rupert Kutzner handelt. Aber amüsant. Dazu so ungeheuer einfach. Er versucht wieder, etwas zu Johannazu sagen. Aber die hört nicht hin; es ist gerade sehr lärmend auf der Bühne. Er beschaut sie von der Seite. Eine Zeitlang hat er sie wirklich gemocht. Warum eigentlich? Es ist wahrhaftig nicht viel los mit ihr. Das breite Gesicht. Die stumpfe Nase. Wenn sie noch so krampfhaft den unbegossenen Blumentopf markiert, die Haare hat sie sich doch nur seinethalb schneiden lassen. Und wie sie sich im Bett hat, weiß er auch. Daß es da nicht eben weit her ist mit ihr. Was will sie also? Andere schimpfen, begehren auf. Sie macht es mit ihrer scheißfeinen, verwunderten Wurstigkeit. Na wenn schon. Er wird sich nicht ärgern.
Er ärgerte sich sehr.
Johanna ihrerseits vergaß ihren Nachbarn tatsächlich, sowie er sich nicht bemerkbar machte. All ihr Wesen streckte sich aus nach Jacques Tüverlin. Sie sah, was da auf der Bühne geschah, und eine Wut stieg ihr hoch, wie sie sie einmal nur gespürt hatte, als sie während des Prozesses Krüger den Zeitungsbericht las über die Verlesung der Briefe des toten Mädchens Anna Elisabeth Haider. Jacques Tüverlin hatte ihr seinerzeit begeistert erzählt von Aristophanes; genau begriffen, was eigentlich ihm vorschwebte, hatte sie nicht. Aber daß es dies nicht sein konnte, daß es sauber war, künstlerisch anständig, wußte sie. Jacques Tüverlin liebte es, sich zynisch zu geben; doch in seiner Profession hielt er auf äußerste Reinlichkeit, sein schriftstellerisches Gewissen war der Kern seines Wesens. Was mußte er hinuntergewürgt haben, bis sich seine gute Sache in dieses absurde, läppische Gelump verwandelte. Er hatte keine gute Zeit gehabt, während sie fort war. Es war eine
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