Erfolg
Gefahr hin, sich die Ohren zu erfrieren, Steinbock bleiben. Auch den Simon, den Bams, wird er als Steinbock aufziehen.
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Leben auf dem Lande
Man lag im Walde, der sich den Hang hinaufzog, auf braun und rotem Laub, schräg unter sich den See, über sich durch das Geäst den blanken Himmel. Dieser Herbst der bayrischen Hochebene war von einer stetigen Heiterkeit, die Tage folgten einander klar und hell. Man schwamm herum in dem blassen Wasser des großen Sees, warf dann nach dem ziemlichkühlen Bad Arme und Beine, um sich zu erwärmen, ließ die helle Sonne über sich rinnen. Man saß in dem weiträumigen Obstgarten vor dem freundlich gedeckten Tisch, am andern Ufer das beschauliche, große Dorf, im Süden dünn und scharf die zackige Linie der Berge. Kaum eine Stunde Wagenfahrt nordöstlich lag die Stadt mit ihren siebenhunderttausend Menschen, die sich schweißig abzappelten, um für das Geld, das ihnen jetzt vom Vormittag zum Nachmittag schneller unter den Händen fortlief, rasch noch ein bißchen Nahrung und Kleidung zu errennen. Denn schon kostete der Dollar 1 665 Mark, für einen Zentner Kartoffeln mußte man 1 100 Mark anlegen, der schofelste Wintermantel war nicht unter 1 270 Mark zu kriegen. Dabei purzelten die Preise so wirr durcheinander, daß es einem das Hirn verdrehte. Man konnte für sehr billiges Geld wohnen, für ungeheuer billiges Geld die 653 Kilometer Eisenbahn von München nach Berlin fahren: doch für acht Pfund Äpfel mußte man ebensoviel zahlen wie für diese Fahrt und für fünfzehn Pfund Äpfel soviel wie für die Monatsmiete einer Dreizimmerwohnung. War es, wenn man träg an dem stillen See lag, vorstellbar, daß kaum eine Stunde weiter Menschen sich einander die Zeitung wegrissen, hastigen Auges, wieviel höhere Ziffern sie heute für ihre Habe anschreiben durften als gestern?
Johanna und Jacques Tüverlin stellten es sich selten vor. Gleich nach der Premiere der Revue hatte Tüverlin Johanna vorgeschlagen, den Herbst mit ihm irgendwo auf dem Lande zu verbringen, Johanna hatte ohne weiteres ja gesagt. Ohne zu fragen wohin, war sie neben Tüverlin in den Wagen gestiegen, und sie waren hinausgefahren an den blassen, stillen Ammersee. Es schien, als sei mit der unseligen Revue die Pechsträhne für Jacques Tüverlin vorbei. Eines seiner Bücher hatte jenseits der Grenzen unerwarteten Erfolg und brachte ihm ausländisches Geld, hinreichend, im Deutschland der Geldaufblähung viele Monate behaglich zu leben.
Während die Städte fieberten, lebten sie, sich abkapselnd, friedliche Tage. Sie mieteten die Villa Seewinkel , Tüverlinfeixte vergnügt über den traulichen Namen, ein einfaches, geräumiges Haus. Sie hatten ihr Stück Strand, Badehütte, Ruderboot, den großen Obstgarten. Tüverlin, nach der widerwärtigen Tätigkeit in Pfaundlers Theater, ging mit Spaß und Eifer an jenes Hörspiel »Weltgericht«. Er brauchte Material, raffte es, häufte es. Spannte Johanna für seine Arbeit ein, machte es sich und ihr nicht leicht. Mit pedantischem Eifer sichtete er Briefsammlungen, Zeitungen, biographische, kulturgeschichtliche Dokumente. Er mußte die sogenannte Wirklichkeit gut kennen, die Berichte der Augenzeugen, alles, was sich von jener Wirklichkeit greifen ließ. Brauchte man nicht, um ein winziges Quentchen Radium zu gewinnen, unendlich große Mengen roherer Stoffe? Er, um ein bißchen höhere Realität zu destillieren, brauchte unendliche Quanten roher, ungesiebter Wirklichkeit.
Staunend sah Johanna, daß er das Ermittelte kaum verwandte, ja manchmal ins Gegenteil verkehrte. Das verdroß sie. Warum denn, fragte sie, ändere er Details, über die jeder Bescheid wisse, so daß seine Änderungen aussähen wie ärgerliche Willkür? Warum lasse er seine Menschen Rundfunk hören zu einer Zeit, da der Rundfunk noch nicht eingeführt war? Warum, da er genau wisse, wie der Justizminister Klenk aussehe, setzte er den erfundenen Minister Prenninger an seine Stelle? Tüverlin blinzelte vergnügt hinüber zu der fernen Linie der Berge. »Siehst du die Braune Wand ?« fragte er. »Natürlich«, erwiderte Johanna. »Siehst du die Neun Zacken davor?« – »Die kann man doch nicht sehen von hier aus«, erwiderte sie verwundert. »Aber wenn du vierzig Kilometer weiter fährst«, sagte er, »kannst du sie photographieren. Die Braune Wand kannst du dann freilich nicht photographieren, die ist dann verdeckt. Ich möchte nicht Einzelheiten des Jahres 2 oder 3 photographieren, sondern ein Bild malen von dem
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