Erfolg
wenig Industrie. Eine dünne, liberale Schicht von Feudalherren und Großbürgern war da, nicht viel Proletariat, viele Kleinbürger, noch sehr verwachsen mit dem Landvolk. Die Stadt war schön; ihre Fürsten hatten sie mit reichen Sammlungen geschmückt und gutem Bauwerk; sie hatte Paläste von Fülle und Anmut, Kirchen von Innigkeit und Kraft. Viel Grün war da, große Biergärten mit behaglicher Sicht auf Fluß und Berge. In schönen Läden wurden die Erzeugnisse der Früheren feilgehalten, altväterisch nette Möbel, gemütvoller Kleinkram aller Art. Die Stadt basierte ökonomisch auf Brauerei, Veredlungsindustrie, Kunstgewerbe, Bankgewerbe, Holz-, Getreide- und Südfruchthandel. Sie produzierte gute Gebrauchskunst und das beste Bier der Welt. Sonst bot sie wenig Material für industrielle Betätigung. Die geistig Regeren wanderten ab; sie ergänzte sich aus spätgeborenen Bauernsöhnen, die, altem Brauch zufolge, nicht erbberechtigt waren. Seit dem Sturz der Dynastie zog sich auch der Feudaladel mehr und mehr zurück, die Arco-Valley, die Öttingen-Wallerstein, Castell-Castell, die Poschinger und Törring. Reiche Leute blieben wenige. Nur einer unter je zehntausend Einwohnern versteuerte ein Vermögen von einer Million unddarüber. Im übrigen lebte die Stadt sich selber, ein lautes, ungeniertes Leben im Fleisch und im Gemüt. Sie war zufrieden mit sich. Ihr Wahlspruch war: Bauen, brauen, sauen.
Drei Jahrhunderte zuvor hatte der Geschichtsschreiber Johann Turmair, genannt Aventinus, von seinen altbayrischen Landsleuten gesagt, das Volk sei schlecht und recht, höre auf die Geistlichkeit, bleibe gern zu Haus, reise wenig. Es trinke stark, habe viel Kinder. Lege sich mehr auf Acker und Vieh als auf den Krieg. Sei unfreundlich, eigensinnig, querköpfig. Achte nicht der Kaufmannschaft, es komme auch wenig Handel. Der Durchschnittsbayer tue, was er wolle, sitze Tag und Nacht beim Bier, schreie, singe, tanze, spiele Karten. Liebe lange Messer und Raufwerkzeuge. Große, prasserische Hochzeit halten, Totenmahl und Kirchweih feiern gelte als anständig, werde keinem verübelt. Im zwanzigsten Jahrhundert konstatierte der einheimische Geschichtsschreiber Doeberl: man finde an den Bayern kein feines, zierliches, Liebe erzeugendes Wesen. Vielmehr ruhige Sprache, ruhige Außenseite, dabei Neigung zu Roheit und Gewalttätigkeit wie zum grobsinnlichen Genuß, Verschlossenheit und Argwohn gegen Fremde.
Was die Bayern von alters her vor allem haben wollten, war ihre Ruhe. Im zwanzigsten Jahrhundert ließ man sie nicht mehr in Ruhe. Bisher hatten sie aus dem Überschuß ihrer Landwirtschaft reichlich kaufen können, was sie für ihr behaglich anspruchsloses Leben brauchten. Auf einmal hieß es, sie produzierten unrationell. Mit Maschinen und kluger Methode könne man ihre Äcker besser bestellen. Wo ihrer zwei arbeiteten, genüge ein einziger. Der Verkehr steigerte sich, die Fracht wurde billig. Man bewies ihnen, daß man aus fruchtbaren Ländern mit klüger bearbeitetem Boden bessere und billigere Lebensmittel einführen könnte. Die andern waren auf einmal nicht mehr auf sie angewiesen, wohl aber sie auf die andern.
Die Bayern schimpften, ja, was wäre denn das? So lange war es gegangen: warum sollte es denn auf einmal nicht mehrgehen? Sie wollten es nicht wahrhaben: aber es war etwas anders geworden. Der Acker trug wie bisher und war dennoch unzuverlässig geworden. Es reichte nicht mehr, unbegreiflicherweise, man mußte sich immer öfter etwas abknapsen, was die andern hatten, und was man selber haben wollte, und was man bisher gegen den Überschuß seines Bodens hatte eintauschen können. Man mußte die andern haben, man brauchte sie, man mußte sich knurrend in das Ganze des Reiches schicken. Es ging nicht mehr an, daß alle sitzenblieben auf dem Hof, im Dorf, in der kleinen Stadt. Viele, wollten sie nicht hungern, mußten in die Stadt abwandern, in die Industrie. Die ganz Gescheiten behaupteten, auch dieser beschränkte Zustand lasse sich nicht halten. In dem industrialisierten Mitteleuropa sei das agrarisch-starrsinnige Bayern ein recht wenig wichtiges Ding. Wie das Auto die Pferdedroschke, so mache eine rationelle Weltgetreidewirtschaft die bayrische Landwirtschaft überflüssig. Nur aus Rücksicht auf die Selbstversorgung im Kriegsfall halte das Reich den unrentablen, viel zu teuren Ackerbau durch hohe Getreidezölle und andre Liebesgaben aufrecht. Aber der Krieg sei eine veraltete Methode, im Absterben. Schon arbeite
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