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Erfolg

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Titel: Erfolg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lion Feuchtwanger
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ganzen Jahrzehnt. Ich ändere Einzelheiten, die heute aktenmäßig wirklich sind, weil sie in der Distanz von fünfzig oder vielleicht schon von zwanzig Jahren unwahr werden. Es ist ein Unterschied zwischen gerichtsnotorischer Wirklichkeitund historischer Wahrheit. Schon in zwanzig Jahren vielleicht wird für eine Historie aus unserem Jahrzehnt der Rundfunk stimmen und notwendig sein, trotzdem er im Jahre 3 noch nicht eingeführt war. Begreifst du, warum ich statt des wirklichen Ministers Klenk meinen erfundenen Minister Prenninger hinsetze?« – »Nein«, sagte Johanna.
    Im übrigen war gute Zeit für Johanna. Niemals kam einem vor der beharrlichen, ernst und heitern Arbeit dieses Mannes die Frage: hat das, was da gemacht wird, Sinn? Nützt es? Wem nützt es? Hier wurde geschafft mit der Sicherheit, mit der ein Tier seinen Bau zusammenträgt. Einmal fragte sie, was für höhere Realität er wohl aus ihrer, Johannas, Wirklichkeit herauspressen könnte. Sie lagen nebeneinander auf dem Steg, der sich in den See hinausschob, in der blanken Sonne. Er blinzelte sie an aus seinem nackten Gesicht, das jetzt, rotbraun, die Härchen doppelt hell erscheinen ließ. Er sei zu faul zu antworten, quäkte er. Da sie bestand, sagte er: doch, er wisse schon, wie er ihr und ihrem Schicksal höhere Realität geben könnte. Er würde da zum Beispiel zeigen, wie Kampf, für eine vielleicht sogar gute Sache, einen Menschen schlecht machen kann. Er blinzelte sie wieder an, von der Seite her. Sie erwiderte nicht, beschaute ihre Nägel, die längst nicht mehr schimmernd und mondförmig waren, sondern viereckig, derb.
    Das kam wohl auch daher, daß Tüverlin Johanna das Chauffieren beibrachte. Sie trieb diesen neuen Sport energisch, zielbewußt, unter viel Gelächter. In der übrigen arbeitsfreien Zeit ruderte man, stieg die Wälder hinauf, fuhr tiefer hinein ins Gebirg. Beim Schwimmen in dem schon recht kalten See gab Johanna Tüverlin wenig nach. Zwei-, dreimal übertraf sie ihn an Ausdauer.
    Eines Tages, unvermittelt, unterbrach Tüverlin plötzlich seine Arbeit an dem Hörspiel »Weltgericht« und begann etwas Neues. Fast eine Woche lang arbeitete er an diesem Neuen, verbissen, konzentriert. Sie fragte ihn nicht, was es sei, und er, so mitteilsam sonst, sprach nicht. Manchmal,selbst während der Mahlzeiten, schaute er erschreckend finster und geheimnisvoll aus. Johanna hatte fast Angst vor seiner Arbeit, und sie liebte ihn sehr.
    Dann, am sechsten Tag, im Boot, auf dem See, genau wie bei ihrem ersten Ausflug vor nunmehr sechzehn Monaten, las er ihr vor, was er gemacht hatte. Es war aber dies sein Aufsatz zum Fall Krüger, heute noch beispielhaft durch die klare Darstellung jenes Prozesses und seiner Vorgeschichte, die kühlste, schärfste Beschreibung der erschütternd unentwickelten Justiz jener Zeit. Im Anschluß an diesen Essay, dem er das Motto des Philosophen Kant mitgab, Recht und Ethik stünden außerhalb jeden Verhältnisses , sprachen Johanna und Tüverlin über den Mann Krüger und sein Schicksal. Tüverlin beurteilte Martin Krüger nicht weniger unfreundlich als früher. Seine Bücher mißfielen ihm, der Mann mißfiel ihm. Es gab viel bedeutsameres Elend ringsum. Aber er hielt es für selbstverständlich, gerade dem Krüger zu helfen. Er liebe nicht große Worte, quetschte er; er spreche nicht gern von Ethos und Sozialgefühl. Er persönlich brauche, um in Frieden mit sich selber zu leben, eine gewisse Sauberkeit. Sein Sozialismus beginne zu Hause. Johanna fing wieder an zu rudern; sie war verwirrt und wußte nichts zu erwidern. Sie verstand diesen Mann nicht, den sie liebte. Warum, unaufgefordert, versicherte er, daß er helfen werde, den Mann aus dem Kerker zu holen, seinen natürlichen Rivalen? »Sich ethisch hinstellen«, sagte er noch, »kann nach einem bißchen Übung jeder Lump. Vor sich und vor der Welt. Ich für meine Praxis bin lieber fair als ethisch.«
    Wann eigentlich hatte Johanna zum letztenmal an Martin Krüger gedacht? Gestern? Vorgestern? Nach der Unterredung mit Tüverlin jedenfalls schrieb sie eine Reihe von Briefen. An den Rechtsanwalt Löwenmaul, der seit Geyers Abreise nach Berlin den Fall Krüger führte, an Geyer selbst, an Pfisterer, auch an den Kronprinzen Maximilian. Der Anwalt Löwenmaul, in seiner Antwort, zählte umständlich auf, was alles für Krüger geschehen war, was für und was gegen dieWiederaufnahme sprach. Es waren elf Schreibmaschinenseiten, aus denen sie nur ersah, daß die Geschichte

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