Erfolg
auch tun. Er wird in ein Kloster eintreten, als dienender Bruder. Am schönsten wäre es, wenn sie ihn in ein Kloster auf dem Land nähmen. Sie teilen ihm seine Arbeit zu, es wird schwere Arbeit sein, er macht sie gern, andere legen sie ihm auf, er braucht nicht nachzudenken, er hat seinen Frieden. Und am Abend geht er ruhevoll herum in der härenen Kutte. Wenn es sich auf dem Land nicht machen läßt, dann bleibt er auch in der Stadt, im St.-Anna-Kloster zum Beispiel. Die Tandlerin reichte ihm das Paket mit der Vase. Das wird er also auf den Südlichen Friedhof bringen, und noch heute wird er sich im St.-Anna-Kloster erkundigen, was er zu tun hat. »Grüß Gott«, sagte er zu der Tandlerin und trollte sich. »Ein andermal wieder die Ehr«, sagte die Tandlerin.
Tüverlin indes war vor ein Kasperltheater geraten. Die Kinder saßen geräuschvoll, in hoher Erwartung. Tüverlin,ebenso voll Erwartung, mischte sich unter sie. Gleich wird die Vorstellung beginnen, gleich wird Kasperl erscheinen. Da wackelte er schon die Rampe entlang. Er hatte eine Kupfernase, gelbe Hosen, grüne Weste, rotes Jäckchen, weiße Halskrause, grünes Spitzenhütchen. Mit krächzender, grölender Bierstimme schrie er: »Seid ihr auch alle da?« – »Ja«, schrien sie strahlend, und dann begann das Spiel. Kasperl hat furchtbar viele Feinde. Kaum hat er den einen totgeschlagen, kommt schon ein neuer: ein großmäuliger Offizier, ein Finanzbeamter, ein grüner Gendarm, der dicke, vollbärtige Wunderdoktor Zeileis, der amerikanische Boxer Dempsey, zuletzt der Teufel selber. Immer wieder rücken sie gegen ihn an, manchmal von beiden Seiten zugleich. Er plumpst hin. Aber er sagt nur: »Öha« und steht gleich wieder auf. Er kriegt viele Prügel, aber er teilt ebenso viele aus, bald ist er ein Held, bald ein Schisser, alles ist wie im Leben. Die Vorstellung dauert nicht lang, aber sie genügt, daß der glückliche Kasperl neun Feinde durch Totschlagen erledigt. Nach dem achten wird eingesammelt, und jeder muß fünf Pfennig zahlen. Der Kasperl ist kein Grantiger. Er macht Mutterwitze, wenn er Prügel kriegt, und auch wenn er totschlägt, gibt er seinen Senf dazu, guten Rat für die Zukunft, allgemeine Sprüche und Volksweisheiten. Schließlich ist der letzte Feind erledigt und hin, und übrig bleibt nichts als aus tiefem Bierbauch das Lachen des Kasperl. Und die Vorstellung ist aus, und gleich wird sie wieder anfangen, und Kasperl wird fragen: Seid ihr auch alle da?
Laut und vernehmlich durch das laute Lachen der Kinder quäkt das Lachen Tüverlins. Er ist ein Mann, dem es gut geht, in bester Stimmung, und er hält einen billig erstandenen Stich auf dem Schoß. Er bleibt sitzen, wie es aus ist, er bleibt zur nächsten Vorstellung. »Seid ihr auch alle da?« grölt Kasperl. »Ja«, stimmt Tüverlin mit ein.
Diesmal aber, während Kasperl oben prügelt, vergeht Tüverlin allmählich das Lachen. Seid ihr auch alle da? Er beschaut sich die Gesichter der Kinder ringsum. Ja, hoffnungslosalle waren sie da. Die Alten waren da in den Kindern, deutlich in den Gesichtern der Kinder waren die Züge der Alten.
Wo immer er hinschaut, nichts hat sich geändert, alle sind sie noch da. Krieg war, Revolution war, und dann das letzte Jahrfünft mit seinem Blut und seiner Lächerlichkeit, mit der Befreiung Münchens am Anfang und der Inflation in der Mitte und dem Kutznerputsch am Schluß. Aber die gleichen Leute sitzen in den Ämtern, im Nürnberger Bratwurstglöckel, im Herrenklub, in der Tiroler Weinstube. An die Stelle des Klenk rückt der Simon Staudacher, an die Stelle des Cajetan Lechner der Beni. Das Jahr dreht sich im alten Kreis, Fasching, Salvatorsaison, Maibock, Maidult, Oktoberfest, zuletzt wiederum Fasching. Die Feldherrnhalle bevölkert sich mit neuen bronzenen und steinernen Mahnmalen, die Militärmusik dröhnt blechern die alten Wagnermelodien, die Tauben girren und werden fett, die Studenten reißen mit eckiger Bewegung die bunten Mützen von den zerhackten Köpfen, am Tor zum Hofgarten steht idolhaft wuchtig, inmitten tiefen Respekts, General Vesemann. Die Isar fließt grün und rasch wie immer, die Stadthymne plärrt vom alten Peter und der Gemütlichkeit, die nicht aufhört. Es ist ein zähes, bäuerliches Haften, die ewige Wiederkehr des gleichen. Die Stadt will das letzte Jahrzehnt einfach nicht wahrhaben, sie hat es vergessen, sie gibt sich treuherzig, hält sich die Augen zu und will es nicht gewesen sein. Sie glaubt, dann vergessen es auch
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