Erfolg
Bürgerpflicht gedrückt hätte. Übrigens war nicht zu leugnen, daß der Prozeß als Ganzes sehr interessant war. Diese Briefe des toten Mädchens zum Beispiel, die man heute zu hören bekommen hatte. Sehr unappetitlich, gewiß; unbegreiflich, wie ein Mann mit einem so verkorksten, schwierigen Mädchen etwas anfangen wollte. Immerhin, interessant war es fraglos. Warum eigentlich kam Katharina niemals zur Verhandlung? Frau von Balthasar war dagewesen, die Schwester des Barons Reindl, die Schauspielerin Kläre Holz.
Er saß am Steuer, lenkte mit sachten Bewegungen den leisen, gehorsamen Wagen. Es war eine schöne Nacht. Man hatte den Ort Starnberg passiert. Viele Menschen waren am Seeufer, doch die Nacht fing die Geräusche auf, ringsum schien alles still, man fuhr durch Laubwald, ein beleuchteter Dampfer war auf dem See.
Nein, Katharina hatte keine Lust, zu diesen Verhandlungen zu gehen. Ihre sonore Stimme klang neben ihm auf, voll jener selbstsichern Trägheit, die ihn immer von neuem erregte. Politik war Katharina unsympathisch. Die Herren, die seit der Revolution damit zu tun hatten, hatten etwas Ungelüftetes an sich. Diese Jagd auf den Mann Krüger gefiel ihr gar nicht. Das schmeckte nach sauer gewordener Milch. Auch war es mißlich, zu denken, in wie peinliche Situationen man durch diese alberne Politik kommen konnte. Immer mußten Männer vor Richtern und Journalisten beschwören, mit welchen Frauen sie geschlafen hatten, was doch keinen anging und für die Regierung des Staates belanglos war.
Die schöne, üppige Frau sprach mit ihrer tiefen, ruhigen Stimme in die Nacht hinein. Herr Hessreiter schaute sie von der Seite an. Nein, sie lächelte nicht. Wahrscheinlich dachte sie gar nicht daran, daß er seinerzeit anläßlich der Scheidungsklage des jetzt glücklich verstorbenen Herrn von Radolny beschworen hatte, er habe keine intimen Beziehungen zu ihr. Ohne eine Sekunde zu zaudern, ohne die geringsten Skrupel hatte er das beschworen. War nicht Herr von Radolny, als er nach ihrer mehrjährigen Freundschaft mit dem Prinzen Albrecht Katharina heiratete, ein umgänglicher Herr gewesen, zufrieden mit der angesehenen Stellung, die er sich durch dieses Arrangement bei Hofe erwarb? Wenn er plötzlich ungemütlich wurde, Szenen machte, auf Scheidung klagte, verstand es sich nicht von selbst, daß Herr Hessreiter seine schöne und liebenswerte Freundin gegen derartige unmanierliche Geschichten in Schutz nahm? Jetzt war Herr von Radolny tot, Katharina hatte sein ansehnliches Vermögen geerbt, wie gut, daß sie sich seinerzeit so energisch gegen die Scheidung gewehrt hatte. Sie hat mit dem Geld des Toten ihr heruntergekommenes Besitztum Luitpoldsbrunn, das ihr Prinz Albrecht bei der Trennung überschrieben hatte, wieder hochgebracht. Von den Einkünften des Gutes und der Rente, die sie von der Vermögensverwaltung des ehemaligen königlichen Hauses bezieht, kann sie das Leben einer großen Dameführen. Ihr Gut ist musterhaft verwaltet, ein gesellschaftlicher Mittelpunkt, sie ist bei Hofe, vor allem bei dem Kronprätendenten, dem ehemaligen Kronprinzen Maximilian, gern gesehen, ihre Freundschaft mit Hessreiter scheint fest begründet, sie macht große Reisen, interessiert sich freundlich für Kunstdinge. Was sie zu dem Prozeß Krüger geäußert hat, ist klar, klug, entspricht ihrer Lage und ihrer Art. Warum also kommt Herr Hessreiter nicht los von diesem doch erledigten Thema? Selbstverständlich ist er nicht so taktlos, die damalige Scheidungsangelegenheit und seinen eigenen Eid mit dem Fall Krüger in Parallele zu bringen. Immerhin streift er daran. Betont, daß nur einem so lebensfremden Schlawiner wie eben dem Krüger so was an den Hals gehängt werden könne. Kavalierseide, in denen Beziehungen zu Frauen abgestritten werden, seien reine Formsache geworden, würden allgemein geschworen, jeder Richter wisse da Bescheid. Es sei, wie wenn man jemandem, dem man einen schlechten Tag wünscht, guten Tag wünsche, niemand nehme solche Eide ernst. Aber natürlich dürfe man dem Staatsanwalt Handhaben nicht geradezu hinreichen wie der Krüger. Denn an sich müsse die Ehe vom Staat geschützt werden. Da sie schwieg, meinte er nach einer Weile, er verstehe wenig von sozialen Dingen. Die Familie aber halte er für die Keimzelle des Staates, und er glaube also, daß sich die Ehe so wenig abschaffen lasse wie etwa die Religion. Verpflichtend sei sie aber natürlich nur für die Masse, nicht für den wissenden einzelnen.
So
Weitere Kostenlose Bücher