Erfolg
ausführlich hatte sich Herr Hessreiter selten über Fragen der Gesellschaft und der Moral ausgelassen. Katharina beschaute ihn von der Seite. Er pflegte, wenn er besonders münchnerisch gesinnt war, die vom Scheitel her landesüblich in die Schläfen hineinwachsenden Haare etwas länger zu tragen. Auf Reisen oder wenn sonst er sich kosmopolitisch gab, ließ er diesen Schläfenbart kürzer schneiden. Heute, wie immer in der letzten Zeit, trug er ihn tief die fleischigen Wangen herunter: was also hatte er? Sie schwieg eine Weile. Entschloß sich, seine Auslassungen für eine augenblickliche Indispositionzu halten, und bemerkte abschließend mit ihrer ruhigen Stimme, sie finde es nicht richtig, daß man dem Manne Krüger die Möglichkeit nehme, in diesem Sommer in die Berge oder ans Meer zu gehen, während zum Beispiel sie und Herr Hessreiter jetzt am Ufer des Starnberger Sees entlangführen. Die stattliche Dame strich sich mit leichter Mißbilligung die kupferfarbenen Härchen zurecht, die unter der Automütze hervorkamen; aus dem schönen Gesicht mit dem starken Mund und der fleischigen Nase schauten still die braunen Augen in die vorübergleitende Nacht.
Auf dem See in den Booten sang man. Herr Hessreiter lenkte reumütig ab von einem Thema, das seine Freundin wenig zu interessieren schien, konstatierte, daß Wasser offenbar die Menschen zu ästhetischer Betätigung anrege. Auch er fühle in der Badewanne häufig einen unbezähmbaren Drang zu singen.
Die letzte Strecke schwiegen sie. Gemeinhin anerkannte Herr Hessreiter seine Freundin als die Klügere, Praktischere, Wissendere von ihnen beiden. Aber heute fühlte er sich ihr heimlich überlegen. Er hatte sich einmal den Spaß gemacht, ihre Handschrift analysieren zu lassen, von der Graphologin Johanna Krain. Mit so was wie schlechtem Gewissen; es war nicht ganz fair, es schien ihm indiskret, einen Menschen, der einem nahestand, mit Hilfe eines Dritten auszuschnüffeln. Dann aber war er doch zufrieden; denn die Analyse hatte in höflichen Wendungen bestätigt, was er bereits wußte: daß nämlich Katharina zwar praktisch recht klug war, aber ohne Romantik, fern jeder Lust an Abenteuern des Geistes. Das stimmte. Sie verstand nicht, ja im Grund mißbilligte sie seine Neigung, in Abgründe des Daseins hineinzulugen, sich bei aller Ruhe und Gemächlichkeit des äußeren Lebens eine unspießige Gesinnung zu bewahren. Daß er diese Neugier ihr voraushatte, füllte ihn mit männlichem Stolz. Was hätte Katharina für Augen gemacht, wenn sie von jenem heimlichen Bilderkauf erfahren hätte, durch den er sich verschmitzt und tapfer vor sich selber und der Welt salviert, sich als vorurteilslosund europäisch erwiesen hatte. Er stellte sich ihr Erstaunen deutlich vor. Gelt, da schaust! dachte er schmunzelnd, während er seine Freundin sanft durch die Nacht fuhr.
Als sie in Luitpoldsbrunn ankamen, war Herr Pfaundler da, der in der Nähe seine Villa hatte und manchmal des Abends vorzusprechen pflegte. Frau von Radolny sah den unternehmenden Mann gerne. Erst Kellner, später Restaurateur, hatte Herr Alois Pfaundler während des Kriegs Fleisch für die Armee geliefert. Dadurch in der Lage, den Besuchern seiner luxuriösen Gaststätte trotz der strengen Rationierungsvorschriften schmackhafte, ausgewählte Gerichte vorzusetzen, deren Seltenheit man in den dürren Zeiten gern teuer bezahlte, war Herr Pfaundler rasch zu Geld gekommen. Er legte sein Kapital in der Vergnügungsindustrie an, er war an vielen großen Varietés und Kabaretts im Reich, auch in den Grenzländern beteiligt und unbestritten der erste Vergnügungsindustrielle des südlichen Deutschlands. Er wäre im sichern Besitz seiner Macht gewesen, hätte er sich nicht darauf versteift, just in seiner Vaterstadt München große Etablissements zu unterhalten, den Vergnügungsstätten dieses Platzes weitläufige Färbung zu geben. Er besaß das vornehmste und größte Varieté Münchens, ein gut geleitetes Kabarett, zwei Restaurants von Qualität; ein großes Badeetablissement am See suchte er in diesem Sommer zu starten. Kluger Geschäftsmann, der er war, wußte er natürlich, daß auf dem Boden der bayrischen Siedlung München solche Unternehmungen schlecht vorwärtskommen konnten. Denn hatte die Stadt vor dem Krieg als Deutschlands erster Kur- und Vergnügungsort gegolten, so hatten die kleinbürgerlichen Verwaltungsmaßnahmen des neubayrischen Regimes die Fremden aus der Stadt weggegrault. Aber Herr Pfaundler redete sich
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