Erfolg
zu Ende, er schnaufte unbehaglich. Man saß noch eine Zeit zusammen, schweigend. Frau von Radolny dachte, es sei nicht klug, wenn zwei Menschen zuviel Zeit zusammen verbringen. Sie wird nächstens nach Salzburg gehen. Dort ist man nahe bei Berchtesgaden, nahe am Südostwinkel Bayerns, wo jetzt ihre guten Bekannten aus der Hofgesellschaft leben. Auch den Kronprätendenten wollte sie gern einmal wiedersehen; er fand an ihrer bedachtsamen Art großes Gefallen, und sie schätzte ihn sehr.
Andern Tages, als sie zum Frühstück herunterkam, hatte Hessreiter schon sein Bad im See genommen und war zur Verhandlung in die Stadt gefahren. Als er den Odeonsplatz passierte, sah er, daß in der Feldherrnhalle große Gerüste aufgeschlagen waren; er erinnerte sich, von neuen Greueln gelesen zu haben, die dort aufgestellt werden sollten. Beschloß, nächstens einige keramische Entwürfe ausführen zu lassen, modelliert von einem jungen, noch unbekannten Bildhauer, die wenig Aussicht auf geschäftlichen Erfolg hatten, ihn aber künstlerisch ansprachen. Vornehmlich eine Serie »Stiergefecht«, die seine Herren als spinnert , als verrückt mit besonders tiefem Widerwillen erfüllte.
16
Ein Schlafzimmer wird berochen
Die Zeugin Johanna Krain war geboren in München, vierundzwanzig Jahre alt, bayrische Staatsangehörige, evangelischer Konfession, ledig. Ihr blaßbräunliches Gesicht straffte sich angestrengt, während sie aussagte. Sie war durchaus nichtbemüht, ihre starke Erregung zu verstecken. Ihre grauen Augen unter den dunkeln Wimpern blickten heftig, ihre breite Stirn furchte sich zornig.
Der Mann Krüger sah sie mit geteilter Seele vortreten. Natürlich war es gut, daß endlich ein vernünftiger Mensch in dieses mittelalterlich gespenstische Gerichtsverfahren eingriff. Aber es war doch ein unangenehmes Gefühl, schuld daran zu sein, daß sich dieses Mädchen dem albernen Gewäsch des ganzen Landes aussetzte. Wehrlos zuzuwarten, wie Millionen schmieriger Zungen dumm an ihr herumlecken würden. Auch wenn man frei war von atavistischen Kavalierbegriffen, war es anständiger, ein solches Opfer abzulehnen. Das hatte er ja auch getan. Immerhin schien ihm heute, im klaren Tageslicht, daß er es entschiedener hätte tun können.
Er hatte sie lange nicht gesehen. Wie sie jetzt vortrat, erregt und doch sicher, fest, kräftig, in gutsitzendem, rahmfarbenem Kleid, das dunkle Haar fein und dicht über der breiten Stirn, durchrann ihn Neigung und Zuversicht. Sie schien ihm der leibgewordene gesunde Menschenverstand, der vortrat, um ihn aus den Händen eines dumpfen, kleinbürgerlichen Fanatismus zu befreien.
Ähnlich spürten viele unter den anwesenden Männern, als die zornige Frau vor die Richter hintrat. Den kleinen Mund in dem fleischigen Gesicht leicht geöffnet, ein bißchen töricht, schaute auf sie aus großen, nicht sehr schleierigen Augen der elegante Herr Hessreiter. Soso, diese Johanna Krain, von der er einmal die Handschrift Katharinas hatte analysieren lassen, war also die Freundin des Krüger. Keine unebene Person; sie hatte ihm damals, als er wegen der Analyse mit ihr zu tun hatte, gut gefallen. Auch heute gefiel sie ihm. Er dachte an die Briefe der Haider, er wog ab das Mädchen Anna Elisabeth Haider und das Mädchen Johanna Krain. Er begriff den Krüger nicht, fand ihn dumm, unkultiviert, antipathisch. Aus dringlichen, klaren Augen hinter den dicken Gläsern hervor, das dünnhäutige Gesicht wechselnd gerötet, beschaute unverwandt der Rechtsanwalt Dr. Geyerseine Zeugin. Er war seiner Sache nicht ganz sicher, da er sie erregt sah; anderseits versprach er sich gerade von ihrem unverstellten Zorn Wirkung auf die Geschworenen. Auf den Bänken der Berichterstatter spannte man sich. Der trockene Triumph, mit dem Dr. Geyer die Vernehmung dieser Zeugin beantragt hatte, versprach eine interessante Wendung des Prozesses, es galt, diese Aussage nach Möglichkeit journalistisch auszuquetschen. Die Zeichner arbeiteten angestrengt, das einmalige Antlitz, die breite Stirn, die stumpfe, lebendige Nase, den kräftigen Mund, den ganzen zornmütigen Gestus der Frau möglichst eindrucksvoll festzuhalten. Ein berufsmäßiger Skeptiker erteilte Informationen. Diese wohlgewachsene Dame lebe angeblich von graphologischen Analysen. Es ließen aber beinahe ausschließlich Männer solche Analysen bei ihr anfertigen, und es sei fraglich, ob es gerade ihre Wissenschaft sei, die sie bezahlten.
Sehr peinlich berührt durch die unerwartete Zeugin
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