Erfolg
davon gesprochen. Nur ganz allgemein habe sie von solchen Beziehungen gewußt. Ob sie also in Hinblick auf die Briefe des toten Mädchens etwas aussagen könne, beziehungsweise ob sie erfahren sei in Hinblick auf die erotischen Gewohnheiten des Dr. Krüger? Hier entstand unwilliges Gemurmel bei den Zuhörern. Der windige Herr von Dellmaier lachte unangenehm meckernd heraus,Dr. Geyer aber schaute ihn mit Augen so hemmungslosen Hasses an, daß der blasse Mensch mitten in seiner Lache, erschreckt fast, verstummte.
Jetzt aber erhob sich schnaufend und mit einer weiten Armbewegung der Geschworene Hessreiter. Dieses tapfere bayrische Mädchen war seinem Herzen wohlgefällig; er fand die Art, wie man ihr zusetzte, unwürdig. »Wenn der Mut in der Brust seine Spannkraft übt«, dachte er einen ehemals berühmten Vers des Bayrischen Königs Ludwig I., nicht ganz klar wissend, ob er die Worte auf sich oder auf das Mädchen beziehen solle. Jedenfalls stand er stattlich da und erklärte mit ungewohnt fester Stimme, er glaube im Namen aller Geschworenen zu sprechen, wenn er diese Frage für überflüssig halte. Der Geschworene Cajetan Lechner, Altmöbelhändler, nickte langsam, doch entschieden Zustimmung. Er war von Anfang an nicht einverstanden mit der Behandlung dieser Zeugin Krain. Das gehörte sich nicht. Er dachte an seine selige Frau, die als Mädchen Rosa Hueber geheißen und sich als Kassierin betätigt hatte, und er war der prinzipiellen Meinung, man solle ein Frauenzimmer nicht so klobig anfassen wie hier der Staatsanwalt. Er dachte an seine Tochter Anni, das Luder, von der man nicht wissen konnte, ob sie nicht einmal in eine ähnliche Lage kommen werde wie diese Zeugin Johanna Krain. Er dachte insbesondere an seinen Sohn, den Beni, den sie ihm zum Zuchthäusler gemacht hatten, und er war in diesem Augenblick nicht sehr einverstanden mit der bayrischen Justiz. Der Vorsitzende erklärte im Ton höflichen Verweises, es sei Sache des Gerichts, über die Zulassung von Fragen zu entscheiden. Die Zeugin Krain sagte, sie verstehe die Frage nicht recht. Der Staatsanwalt erklärte, das genüge ihm.
Bei der Konfrontierung zwischen dem Chauffeur und Johanna Krain zeigte sich Franz Xaver Ratzenberger sehr patzig. Nochmals wurde umständlich gefragt, ob kein Irrtum möglich sei, im Datum, in der Uhr. Nein, es war kein Irrtum möglich. Der Chauffeur Ratzenberger hatte den Dr. Krüger in derNacht vom 23. zum 24. Februar um zwei Uhr früh zum Hause Katharinenstraße 94 gefahren, und Dr. Krüger war zusammen mit dem Mädchen Anna Elisabeth Haider dort ins Haus hineingegangen. Er war aber auch, und zwar ebenfalls um zwei Uhr, im Bett der Zeugin Johanna Krain in der Steinsdorfstraße gewesen. Der Chauffeur schlug im Laufe der Konfrontierung um, wurde treuherzig, gemütlich. Das Fräulein müsse sich eben doch irren. Mit dem Gedächtnis der Damen sei das so eine Sache. Er machte keinen schlechten Eindruck. Aber zweifellos auch wirkte die Hartnäckigkeit und der unverstellte Zorn Johanna Krains stark auf Geschworene und Publikum. Der Vorsitzende, der ehrgeizige Richter Hartl, schloß die Sitzung nicht ohne Betretenheit, zum erstenmal mit einer kleinen Wolke Sorge um den Ausgang des Prozesses.
17
Ein Brief aus Zelle 134
Frau Franziska Ametsrieder erfuhr von der Aussage Johanna Krains aus der Zeitung. Jetzt wurde ihr klar, warum immerzu das Telefon läutete, warum Scharen von Besuchern kamen, die bestimmt nicht alle graphologische Analysen wünschten.
Frau Ametsrieder schickte die Besucher fort, stellte schließlich Telefon und Flurklingel ab. Ging zu Johanna. Angriffslustig trug sie auf kurzen, festen Beinen den feisten, strammen Körper wie eine Kriegsmaschine zu der unklugen Nichte. Die klaren, hellen Augen schimmerten kampfbereit aus dem mächtigen Mannsschädel unter den ganz kurz geschnittenen, sehr schwarzen, nur zu einem kleinen Teil entfärbten Haaren. Sie vermutete, Johanna werde sie nicht empfangen.
Allein Johanna ließ sie vor. Wartend, nicht einmal unhöflich, blickte sie auf die runde, resolute Tante. Die ging nicht auf Moralisches ein, sondern setzte mit guten Gründen auseinander, daß erstens die Aussage Johannas an dem Schicksaldes Mannes Krüger kaum etwas ändern werde und daß zweitens bei der Stimmung, die nun einmal in der Stadt München herrsche, Johanna ihre eigene wirtschaftliche Existenz ein für allemal untergraben habe. Johanna ließ sich auf die umständliche Argumentation nicht ein, sondern fragte kurz,
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