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Erfolg

Erfolg

Titel: Erfolg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lion Feuchtwanger
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löst. Manchmal verweigert eine Handschrift überhaupt jede Art von Ausstrahlung, und sie muß sie unverrichteterdinge zurückgeben. Manchmal wieder wirkt eine Schriftprobe so stark auf sie, daß sie ihre nüchtern zünftige Methode wie eine Schutzmauer davor aufbauen muß. Sie fühlt sich dumpfig, sie möchte Klarheit: fast immer aber ist ihr Erkenntnis mit Qual verbunden. Es ist ein zweideutiges Gefühl von Scham und Kitzel, wenn das Wesen des andern sich aus der Handschrift zu lösen beginnt, Gestalt annimmt, sich mit ihr mengt. Zuerst, als sie Analysen aus Sport machte, zur Unterhaltung einer vergnügten Gesellschaft, war es ihr Spaß gewesen, in nachdenkliche, verblüffte Gesichter zu schauen. Dann hatte es sie Überwindung gekostet, diese fremde und unheimliche Begabung in bares Geld umzusetzen. Jetzt ist sie abgestumpft. Sie nimmt ihre Analysen ernst. Sie sagt nichts, was sie nicht ehrlich meint; aber sie verschweigt vieles, was sie ersieht. Oft auch fehlen ihr die Worte, oft drückt sie sich vor unwillkommenen Erkenntnissen.
    Sie sitzt in dem verdunkelten Zimmer, starrt gespannten Auges in den Apparat. Fast plastisch in dem starken Licht springen die Schriftzüge Martins sie an. Noch nicht, aber bald, jetzt gleich, mit der Sicherheit des sich entwickelnden Films, wird ihr das Bild des Schreibenden kommen. Schon spürt sie jene Spannung und Erhöhung, leichte Glieder, trockenen Mund, Öffnung aller Sinne, jene Anzeichen, durchwelche Erkenntnis sich verkündigt. Da reißt sie sich los. Die Vorhänge hoch, den Tag herein. Sie löscht die Lampe des Apparats, öffnet die Fenster, atmet. Der Mann in Not, der Mann in der Zelle. Der Mann, mit dem sie in den Bergen war, auf dem Meer. Der Mann, der ihr zublinzelte, als der Bürgermeister jener Provinzstadt auf ihn toastete. Der Mann, mit dem sie zusammenlag, der Kindisches und Starkes, Albernes, Gütiges, Weises in sie hineinflüsterte.
    Sie nimmt den Brief aus dem Apparat. Martin Krüger ist vielleicht ein schlechter Mann oder auch ein guter. Jedenfalls ist er ihr Freund. Sie will ihn nicht auskundschaften. Sie spürt gut, warum sie sich in diese Sache hineinbegab. Sie will sich nicht mit klugen Gründen rechtfertigen vor sich selber. Es müßte mit dem Teufel zugehen, wenn sie mit dieser blöden Schufterei nicht fertig würde. Langsam, bedächtig, in kleine Stücke zerreißt sie den dummen Brief des Mannes Krüger, ihres Freundes.
    Sieht wieder den Stapel von Zeitungen und Zuschriften. Sie will vernünftig bleiben, aber sie kann nicht verhindern, daß eine neue, helle Wut sie packt, ihr breites Gesicht noch breiter zerrend. Sind ihre Landsleute stierköpfig, so ist sie es doppelt. Könnte der Rechtsanwalt Dr. Geyer sie sehen, wie sie jetzt dasitzt, mit starrsinnigen, zornigen Augen, er begänne zu zweifeln, wer von den beiden bayrischen Menschen schließlich siegen wird, der Justizminister oder dieses große Mädchen.
18
Gnadengesuche
    Dem Justizminister Otto Klenk lagen zwei Gnadengesuche vor, an deren Entscheidung weitere Kreise interessiert waren.
    Auf einer der Hauptstrecken des bayrischen Eisenbahnnetzes war ein D-Zug entgleist, neunzehn Menschen waren getötet, einunddreißig verletzt worden. Die Ursachen desUnglücks ließen sich nicht klar feststellen. Einige führten sie auf mangelnde Sicherungsmaßnahmen zurück, behauptend, der Oberbau dieser Strecke tauge nicht für die neuen, schweren Maschinen. Da damals Konflikte entstanden waren zwischen der Zentralverwaltung der Reichseisenbahnen und der Verwaltung des bayrischen Kreises, kam dieses Unglück den bayrischen Partikularisten ungelegen. Auch war die Entscheidung, ob Verbrechen oder nicht, zivilrechtlich von Wichtigkeit. Lag ein Verbrechen vor, so war die Verwaltung ohne Haftpflicht; andernfalls konnten die Verletzten und die Hinterbliebenen der Getöteten hohe Ersatzansprüche stellen. Die Eisenbahnbehörde bestritt hartnäckig jede Schuld und erklärte, das Unglück sei auf einen verbrecherischen Anschlag zurückzuführen, worauf die Art der Schienenlockerung und ähnliche Momente hindeuteten.
    So lagen die Dinge, als die Landgendarmerie einen zweifelhaften Burschen aufgriff, der sich nachweislich um die Zeit des Unglücks in der Nähe der Strecke herumgetrieben hatte. Dieser Bursche, neunundzwanzigjährig, Prokop Woditschka von Namen, Tscheche seiner Nationalität nach, war in seinem Heimatland mehrmals wegen Roheitsverbrechens vorbestraft worden. Jetzt seit Wochen vagabundierte er beschäftigungslos

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