Erfolg
was nun, nachdem die Sache so liege, nach Meinung der Tante im einzelnen geschehen solle. Da stellte sich heraus, daß, wie häufig, Frau Ametsrieder zwar eine bestimmte, sehr resolute Ansicht der geschehenen Dinge hatte, aber nur sehr vagen, allgemeinen Rat für die Zukunft. Johanna meinte schließlich, falls die Tante sich durch ihre Anwesenheit in der Wohnung beeinträchtigt fühle, möge sie ihr nur sagen, wann sie wünsche, daß sie wegziehe. Die Tante, darauf nicht gefaßt, ihre Entschiedenheit nur mühsam intakt haltend, entgegnete, ein Wort zur Lage werde man wohl noch äußern dürfen. Johanna, mit vor Zorn verdunkelten Augen, erklärte unvermittelt sehr laut und in starkem Dialekt, jetzt aber wolle sie Ruhe haben, und die Tante möge schauen, daß sie in Schwung komme. Die Ametsrieder erwiderte, sie werde Johanna Tee und Toast hereinschicken, und zog, wenig befriedigt, ab.
Einen Stapel von Zeitungen und Zeitschriften ließ sie da. Johanna wurde in unflätigster Weise beschimpft. Viele schrieben, ihre Aussage beweise nichts für die Unschuld des Krüger. Denn warum solle ein Schlawiner wie der Dr. Krüger nicht im Lauf weniger Minuten von einer leicht zugänglichen Dame zu einer andern laufen? Ihr Bild sah sie in verschiedenen Posen. Alle, mit Ausnahme eines einzigen, nahmen sich dermaßen unecht aus, daß sie sich fragte, ob sie sich wirklich so theaterhaft gegeben habe. Einige Zeitungen traten für sie ein, aber in der unwillkommen wohlwollenden Art jener Leute, die alles verstehen. Während die Mehrzahl sich über ihre Graphologie lustig machte, auch jene Verdächtigung, ihre Graphologie sei nur Vorwand zum Männerfang, hatte in vorsichtiger Form Platz gefunden, verteidigten andere ihre berufliche Tätigkeit, allein in so überheblich gönnerhaftem Ton, daß diese freundlichen Anmerkungen noch peinlicher wirktenals die gehässigen. Mehrere Zuschriften drohten, man werde es ihr schon zeigen. Diese Briefe waren voll von zotigen, vorstädtischen, manchmal sehr bildkräftigen Schimpfworten, von denen selbst Johanna nicht alle kannte, trotzdem sie auch mit Einwohnern der Bezirke am andern Flußufer zu tun hatte.
Eine neue, ungeheure Wut stieg hoch in ihr, machte ihr Gesicht weiß. Mit einer jähen Bewegung fegte sie einen großen Stoß beschriebenen und bedruckten Papiers vom Tisch, trat herum auf den Haufen aus Buchstaben zusammengesetzten Kotes. Etwas tun! Dreinschlagen! Einem von diesen Lumpen ins Gesicht haun! Aber der Anfall dauerte nicht lange. Sie stand in einer wunderlich krampfigen Haltung im Zimmer, klemmte die Oberlippe ein, dachte scharf nach. Seine fünf Sinne gut beieinanderhalten mußte man. Nachdem sich Martin Krüger auf so einfältige Art von ihren stierhaft bornierten Landsleuten hat fangen lassen, wird es verflucht schwer sein, ihn wieder loszukriegen.
Sie lockerte ihre Starrheit, setzte sich, griff mechanisch hinein in den Wust von Briefen vor ihr. Die Handschrift eines Umschlags machte sie stutzig. Der Brief war von Martin Krüger.
Sie hat den Mann Krüger nicht aufgesucht nach der Vernehmung. Er hat eine kleine Neigung zu opernhaften Szenen, die sie nicht teilt. Wahrscheinlich hätte er einiges Pathetische geäußert. Jetzt also hat er geschrieben. Sie starrt auf den Briefumschlag, ärgerlich. Es gab nichts zu schreiben. Drei Furchen über der Nase, unwillig atmend, reißt sie den Brief auf.
Er wolle das nicht, schreibt der Mann Krüger. Ritterliche Gesten lägen ihm fern, wie sie wisse. Aber er wolle durchaus nicht, daß jetzt, wo er offensichtlich und auf lange Zeit hinaus im Pech sei, ein anderer sein Schicksal an das seine knüpfe. Er bitte sie, ihn sich und der bayrischen Justiz zu überlassen. Er gebe sie frei.
Johanna saugt die Oberlippe zwischen den Zähnen fest. Der kommt ihr recht. Freigeben. Sie läßt sich nicht so dummanreden. Geschmackloses Familienblattgewäsch. Er ist tief heruntergerutscht durch die Untersuchungshaft.
Sie hält den Brief vor sich. Plötzlich, halb getrieben, spannt sie ihn in den kleinen, lesepultartigen Apparat, den sie zu ihren graphologischen Analysen benutzt. Beginnt die Handschrift zu sezieren nach den klugen, kalten Methoden, die sie gelernt hat. Sie spielt auf diese Art mit sich und dem Manne Krüger; denn diese Methoden sind ihr nur Mittel, um sie in den Rauschzustand zu versetzen, aus dem allein heraus sie eine Handschrift lebendig deuten kann. Manchmal starrt sie stundenlang vor dem kleinen Lesepult, ohne daß sich eine Erkenntnis in ihr
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